Eine progressive, feministische Arbeitsmarktpolitik muss einen transformativen Charakter haben, um aktuell dominante Strukturen aufzubrechen. Doch wie sehen Politikmaßnahmen aus, die Ungleichheit an ihrem Ursprung bekämpfen?
leichstellung am Arbeitsmarkt ist noch lange nicht erreicht: Vom Gender Pay Gap über die ungleiche Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit bis zu den in Deutschland und Österreich besonders hohen Teilzeitquoten von Frauen sind noch einige Baustellen offen. Laut der US-amerikanischen Feministin Nancy Fraser reduzieren affirmative Lösungen Ungleichheiten an der Oberfläche, erhalten jedoch die gesellschaftlichen Strukturen, die Ungleichheit erst ermöglichen. Um wirklich nachhaltige Verbesserungen zu erzielen, sind transformative Lösungen notwendig, die an ebendiesen Strukturen und damit an der Wurzel ansetzen (Fraser 1995).
Die Autorinnen
Lisa Hanzl ist Stipendiatin im Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ und Ökonomin beim Momentum Institut. Ihre Schwerpunkte: Genderfragen in der Ökonomie, Themen rund um Arbeit, Mikroökonometrie.
Doch wie sieht Arbeitsmarktpolitik aus, die Ungleichheit an ihrem Ursprung bekämpft? Progressive Wissenschaftler*innen, Think TanksU, und NGOs schlagen einige Lösungen vor – von einer generellen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, über den Ausbau von flächendeckenden und kostenlosen Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen bis hin zur (verpflichtenden) Elternzeit für Väter und zweite Elternteile.
In diesem Beitrag argumentiere ich, dass transformative Lösungen gegen Ungleichheit in der Arbeitswelt eine feministische Arbeitsmarktpolitik brauchen, die nicht nur die Dimension Geschlecht, sondern auch race und Klasse miteinbezieht (Crenshaw 1989). Für die Analyse von unbezahlter Arbeit beziehe ich mich auf gemeinschaftsbasierte Ansätze von Schwarzen Feminist*innen, allen voran Nina Banks (2020), und wende diese auf ein progressives Arbeitsmarktinstrument, die Elternzeit für Väter und zweite Elternteile, an.
Serie Ungleichheit und Macht
Die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ist eines der bedeutendsten Probleme unserer Zeit. Zugleich steigt das wissenschaftliche Interesse und liefert neue Erkenntnisse mit Blick auf die drängendsten Fragen und Antworten zu verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit und ihren zugrundeliegenden Machstrukturen.
Für die Debattenreihe „Ungleichheit und Macht“ haben Doktorand:innen aus dem Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen diese neuen Erkenntnisse aufgeschrieben. In den Beiträgen stellen die Promovierenden, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert werden, Teilergebnisse ihrer Forschung vor und diskutieren verbundene gesellschaftliche Herausforderungen sowie politische Handlungsoptionen. Mit dem Fokus auf Ungleichheitsdimensionen und zugrunde liegenden Machtverhältnissen reicht der thematische Bogen von Armut und Besteuerung bis zu Arbeitsmarkt‑, Gleichstellungs- oder Klimapolitik. Durch die thematischen Breite und Vielfalt der eingesetzten Methoden stoßen die Autor:innen eine weiterführende gesellschaftliche Debatte darüber an, wie der steigenden Ungleichheit begegnet werden kann.
Die Reihe erscheint in regelmäßigen Abständen zwischen April und Juni 2023 im Makronom. Hier im ifsoblog dokumentieren wir die Serie anschließend ebenfalls.
Warum feministische Arbeitsmarktpolitik unbezahlte Arbeit immer einbeziehen muss
Für die Analyse von geschlechterbasierter Ungleichheit am Arbeitsmarkt ist die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zentral. Die geschlechterspezifische Ungleichverteilung von Arbeit führt über alle Einkommensschichten hinweg zu reduzierten Zeitressourcen von Frauen. In Haushalten mit niedrigen Einkommen führt diese Zeitarmut dazu, dass nach dem Verrichten der zum Überleben notwendige Erwerbsarbeit nicht ausreichend Zeit für die erforderliche Sorgearbeit vorhanden ist (Vickery 1977). Da unbezahlte Arbeit noch immer größtenteils Frauenarbeit ist, diese sich aber gleichzeitig an einen auf Männer ausgerichteten Arbeitsmarkt anpassen müssen, tritt Zeit für Familie und Gemeinschaft hinter die Erwerbsarbeit zurück.
Atypische Arbeitsverhältnisse, also solche, die zeitlich befristet sind, weniger als 20 Wochenstunden umfassen, auf geringfügigem Niveau oder als Zeitarbeit gefasst sind, bringen zusätzliche Unsicherheit. 2019 waren in Deutschland rund ein Drittel aller Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit atypisch beschäftigt. Auch Frauen, insbesondere Migrant*innen, sind häufiger in solchen, oft prekären, Dienstverhältnissen (Seils und Baumann 2019). Fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen aus Nicht-EU-Ländern sind atypisch beschäftigt.
Bei Haushalten mit mittleren bis hohen Einkommen führen einerseits gesellschaftliche Normen rund um Geschlechterrollen und andererseits der Druck, Vollzeit zu arbeiten, häufig zu Mehrfachbelastungen von Frauen. In der Coronakrise wurde dies besonders deutlich: Studien zeigen, dass Männer selten die – u.a. wegen Schließungen von Betreuungseinrichtungen anfallende (Hanzl und Rehm 2021) – zusätzliche Sorgearbeit übernahmen. Ist es finanziell möglich, Kinderbetreuung oder Hausarbeit auszulagern, wird diese häufig von anderen, oft marginalisierten Frauen zu teils schlechten Konditionen übernommen (Hochschild 2014). Dies reduziert wiederum bei jenen Frauen zusätzlich Zeitressourcen, um ihre eigenen Familien und Communities zu versorgen.
Unbezahlte Arbeit wird nicht nur in privaten Haushalten verrichtet
Das im aktuellen feministischen Diskurs vorherrschende Konzept für „unbezahlte Arbeit“ konzentriert sich auf Sorgearbeit innerhalb privater Haushalte. Feministische Ökonom*innen konzipieren daher neben Unternehmen auch Haushalte als Orte der Produktion (Bhattacharya 2017). Dies stellt eine Besserung im Gegensatz zur neoklassischen Ökonomik dar, die Haushalte bloß als Konsument*innen definiert. Beide Ansätze blenden jedoch weiterhin die Lebensrealitäten von marginalisierten Personengruppen, Migrant*innen, Personen of Color, queeren und armen Personen aus, denn diese verrichten einen Teil ihrer unbezahlten Arbeit oft nicht nur in privaten, sondern auch in gemeinschaftlichen Räumen (Banks 2020).
Um dieser Realität Rechnung zu tragen, ist eine intersektionale Perspektive bei der Analyse der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zentral: Nina Banks schlägt vor, diese gemeinschaftlichen Räume, die Communities, als Orte an denen Sorgearbeit verrichtet wird mitzudenken, um rassistische, herkunfts- und klassenbedingte Benachteiligung zu bekämpfen (Banks 2020). Dazu weitet Banks den Arbeitsbegriff aus. Arbeit umfasst laut Banks neben Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit in Haushalten auch nicht-marktbestimmte, unbezahlte Arbeit, die in der und für die Gemeinschaft geleistet wird. Banks erklärt: „Die Community ist ein wichtiger Ort, an dem rassifizierte Frauen unbezahlte, nicht-marktbezogene kollektive Arbeit leisten, um das Wohlergehen der Gemeindemitglieder zu verbessern und die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu erfüllen, die vom öffentlichen und privaten Sektor nicht befriedigt werden“ (Banks 2020, S. 343).
Genau das macht diese gemeinschaftliche Arbeit nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch: Wie feministische Ökonominnen vor ihr konzipiert Banks Arbeit als etwas, wofür auch andere Personen bezahlt werden könnten, also etwas, das auch vermarktet werden kann. Beispiele umfassen das „Sammeln von Informationen[…], Organisieren von Treffen, Telefonieren mit Medien und gewählten Vertreter*innen“ sowie die „Beseitigung von Müll in der Nachbarschaft, [das] Anpflanzen von Saatgut und Anlegen von Gemeinschaftsgärten, [den] Transport von Menschen zu Orten des Protests oder des Gottesdienstes, [das] Kochen von Speisen für Gemeinschaftsmitglieder“ (Banks 2020, S. 350) und vieles mehr.
Banks Analyse bezieht sich auf den US-amerikanischen Kontext, ihre Theorie kann jedoch auf die europäische Ebene übertragen werden. Auch in Europa leisten marginalisierte Personengruppen gemeinschaftliche Arbeit, die zur Verbesserung der gemeinsamen Lebensumstände führen soll. Ob in den USA oder Europa, diese Art von unbezahlter Arbeit ist eine Reaktion auf strukturelle Unterfinanzierung von Räumen, in denen besonders marginalisierte Personen leben. Ich schlage daher diese breitere Definition von unbezahlter Arbeit für die Ausgestaltung feministischer Arbeitsmarktpolitik vor.
Über die Kernfamilie hinaus: Elternzeit für Väter und zweite Elternteile
Durch diese theoretische Linse analysiere ich nun die Elternzeit für Väter und zweite Elternteile als progressives, potenziell transformatives Arbeitsmarktinstrument, welches einerseits unbezahlte Arbeit aufgrund der Beteiligung von Vätern fairer verteilt und andererseits durch das Miteinbeziehen von zusätzlichen Bezugspersonen in der Kinderbetreuung gemeinschaftsbasierte Ansätze erlaubt.
Bisherige Studien für Deutschland und Österreich beziehen sich lediglich auf heterosexuelle Paare, ohne Berücksichtigung von Migrationsbiografie oder Herkunft: Eine Studie für Deutschland zeigt, dass Väter, die länger in Elternzeit sind, im weiteren Lebensverlauf mehr Sorgearbeit übernehmen (Tamm 2019). Längere Elternzeiten von Vätern haben auch einen starken Einfluss auf die Rückkehr von Müttern ins Berufsleben (Riesenfelder und Danzer 2019). Eine Elternzeit für Väter und zweite Elternteile hat also das Potential gesellschaftliche, heteronormative Vorstellungen bezüglich der Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit zu verändern. Um dieses Potenzial vollständig zu realisieren, muss die Elternzeit jedoch auch für „zweite Elternteile“ ermöglicht und moderne Familienkonstellationen, von Regenbogen- über Einelternfamilien bis hin zu gemeinschaftsbasiertem Zusammenleben, miteinbezogen werden.
Die Juristin Maria Sagmeister geht einen Schritt weiter und schlägt eine verpflichtende Elternzeit für Väter vor. Diese würde eine obligatorische Erwerbsunterbrechung für Väter und zweite Elternteile schaffen, die dem Mutterschutz nahekommt (Sagmeister 2019). Da die bereits bestehenden, freiwilligen Möglichkeiten zur Elternzeit für Väter oft nur sehr kurz in Anspruch genommen werden, reproduzieren sie lediglich vorhandene Rollenbilder. Sagmeister schlussfolgert: „Da […] die bloße Schaffung rechtlicher Möglichkeiten zur Väter-Beteiligung nicht ausreicht, um die tatsächliche Arbeitsteilung aufzubrechen, sind obligatorische Regelungen für Väter notwendig“ (Sagmeister 2019, S. 127).
Die Verpflichtung zur Erwerbsunterbrechung spielt dabei in zwei Punkten eine zentrale Rolle: Sie könnte, erstens, Diskriminierung gegenüber jungen Frauen am Arbeitsmarkt reduzieren, da so auch Männer nach der Geburt eines Kindes einige Zeit als Arbeitskräfte ausfallen würden. Zweitens wären Arbeitgeber*innen so gezwungen, Elternzeiten für Väter allgemein zuzulassen und damit die Akzeptanz gegenüber diesen zu erhöhen. Denn aktuell müssen Unternehmen Elternzeit für Väter zwar gesetzlich erlauben, doch die tatsächliche Inanspruchnahme führt oft zu Diskriminierung bei späteren Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten (Bergmann und Sorger 2018).
Dieser Beitrag verdeutlicht, dass progressive, feministische Arbeitsmarktpolitik transformativen Charakter braucht, um aktuell dominante Strukturen aufzubrechen. Lösungen durch eine solche Arbeitsmarktpolitik sollten intersektional gedacht werden, wofür die Konzeption von „unbezahlter Arbeit“ um gemeinschaftliche Räume erweitert und prekäre Beschäftigung in die Ausgestaltung dieser Arbeitsmarktinstrumente zentral einbezogen werden müssen. Während diese abstrakten Ziele oft weit entfernt scheinen, zeigt das Beispiel der (verpflichtenden) Elternzeit für Väter, dass solche Politikmaßnahmen, die im ersten Moment radikal erscheinen, umsetzbar wären – mit dem notwendigen Mut.
Die Politische Ökonomie der Ungleichheit
Das Promotionskolleg „Die Politische Ökonomie der Ungleichheit“ untersucht Ausmaß, Ursachen und Folgen steigender sozioökonomischer Ungleichheit. Materielle Unterschiede stehen dabei im Mittelpunkt, werden aber stets in Zusammenhang zu politischen, sozialen und ökologischen Aspekten gesetzt. Die Forschungspraxis ist von einem interdisziplinären und anwendungsorientierten sozioökonomischen Ansatz geprägt. Zur Übersicht aller Blogbeiträge der Mitglieder aus dem Promotionskolleg
Dieser Beitrag wurde zunächst auf makronom.de veröffentlicht.
Kurz zusammengefasst
Eine progressive und feministische Arbeitsmarktpolitik muss einen transformativen Charakter haben, um aktuell dominante Strukturen aufzubrechen. Doch wie sehen Politikmaßnahmen aus, die Ungleichheit an ihrem Ursprung bekämpfen? Vorschläge reichen von Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich bis zu (verpflichtender) Elternzeit für Väter. Der Beitrag nimmt eine intersektionale Perspektive auf feministische Arbeitsmarktpolitik ein. Demnach müssen transformative Lösungen gegen Ungleichheit in der Arbeitswelt nicht nur die Dimension von Geschlecht, sondern auch race und Klasse mit einbeziehen. Feministische Arbeitsmarktpolitik kommt dabei ohne die Analyse unbezahlter Arbeit nicht aus. Zum einen ist unbezahlte Sorgearbeit immer noch häufig Frauenarbeit. Während diese jedoch immer mehr dem Druck ausgesetzt sind, gleichzeitig erwerbstätig zu sein. Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig den klassischen Geschlechterrollen zu entsprechen, führt meist zu Doppelbelastungen. Atypische Arbeitsverhältnisse führen zu weiterer Unsicherheit, insbesondere bei Migrantinnen. Dabei muss beachtet werden, dass marginalisierte Gruppen diese unbezahlte Arbeit nicht nur im privaten verrichten, sondern meist auch in gemeinschaftlichen Räumen. Das macht diese Art der Arbeit explizit politisch und ökonomisch. Ob in den USA oder Europa, diese Art unbezahlter Arbeit ist eine Reaktion auf strukturelle Unterfinanzierung von Räumen, in denen besonders marginalisierte Personen leben. Eine breite Definition des Begriffs der unbezahlten Arbeit ist demzufolge notwendig. Vor diesem Hintergrund könnte eine verpflichtende Elternzeit für Väter ein transformatives Arbeitsmarktinstrument darstellen. Die Verpflichtung zur Erwerbsunterbrechung spielt dabei in zwei Punkten eine zentrale Rolle: Sie könnte, erstens, Diskriminierung gegenüber jungen Frauen am Arbeitsmarkt reduzieren, da so auch Männer nach der Geburt eines Kindes einige Zeit als Arbeitskräfte ausfallen würden. Zweitens wären Arbeitgeber*innen so gezwungen, Elternzeiten für Väter allgemein zuzulassen und damit die Akzeptanz gegenüber diesen zu erhöhen.