Die zunehmende Einkommensungleichheit in Deutschland hat den Druck verstärkt, statusorientiert zu konsumieren. Insbesondere für Wohneigentum nahmen einkommensschwächere Haushalte hohe Belastungen in Kauf.
ach der Jahrtausendwende kam es in Deutschland zu einem starken Anstieg der Einkommensungleichheit (Fuchs-Schündeln et al., 2010; OECD, 2008). Verlierer dieser Entwicklung waren in erster Linie Haushalte in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung mit stark rückläufigen Realeinkommen.
Trotz zunehmender Einkommensungleichheit fiel der Anstieg der Konsumungleichheit sehr gering aus, da Bezieher niedrigerer Einkommen ein relativ hohes Konsumniveau aufrechterhielten, indem sie zunehmend auf ihre Ersparnisse zurückgriffen. Daraus resultierte eine anhaltende Spreizung der Sparquoten entlang der Einkommensverteilung, mit potenziell negativen Konsequenzen für die Vermögensungleichheit (Saez und Zucman, 2016). Aktuelle Forschungsbeiträge legen nahe, dass ein überproportionaler Anstieg der Wohnausgaben bei Haushalten mit niedrigen Einkommen eine zentrale Rolle für diese Entwicklung spielt (Dustmann et al., 2022).
Die Autorinnen
Lukas Endres war Doktorand am Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“. Er forscht unter anderem zur Entwicklung von Einkommen, Konsum und Ersparnis privater Haushalte.
Einkommen, Konsum und Ersparnis privater Haushalte
Die folgende Abbildung zeigt anhand der Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) die Entwicklung der verfügbaren Einkommen, Konsumausgaben und Sparquoten privater Haushalte in Deutschland entlang der Quintile der Einkommensverteilung für den Zeitraum von 1998 bis 2018. Auffällig ist der starke Rückgang der verfügbaren Einkommen in den unteren Quintilen mit Beginn der 2000er, der zu einem beträchtlichen Anstieg der Einkommensungleichheit führte.
Bis 2013 verschlechterte sich die Einkommensposition in der unteren Hälfte der Verteilung relativ zu den darüberliegenden Haushalten erheblich. Haushalte mit niedrigen Einkommen reduzierten jedoch ihre Konsumausgaben nicht proportional zu ihren fallenden Einkommen, sondern hielten sowohl ihr absolutes als auch ihr relatives Ausgabenniveau aufrecht, indem sie ihre Sparquoten senkten.
Entgegen bisheriger Annahmen (Dustmann et al., 2022) geht der starke Rückgang der Sparquoten in den unteren Bereichen der Einkommensverteilung insbesondere auf eine Reduzierung bei Haushalten mit Wohneigentum zurück. Die Sparquoten der Mieterhaushalte blieben im selben Zeitraum dagegen konstant. Erst mit dem kräftigen Anstieg der verfügbaren Einkommen von 2013 bis 2018 nahm die Sparquote der Haushalte mit Wohneigentum im untersten Quintil wieder zu.
Der starke Rückgang der Sparquoten bis 2013 ist vor allem auf deutlich gestiegene Ausgaben für Wohnen (gemessen als die Summe aus Zinszahlungen für Hypotheken, laufende Kosten und Ausgaben für Reparaturen und Instandhaltungen), sowie für Wohnenergie der Eigentümerhaushalte zurückzuführen. Zwar kam es auch bei Mieterhaushalten zu einem Anstieg der Ausgaben für Wohnen und Wohnenergie. Dieser fiel jedoch im Vergleich zu den Eigentümerhaushalten deutlich moderater aus. Die kombinierten Ausgaben für Wohnen und Wohnenergie stiegen bei den Wohnungseigentümern von 1998 bis 2008 um mehr als das Doppelte. Dies überrascht insbesondere vor dem Hintergrund fallender Häuserpreise und Zinsen für Immobilienkredite.
Anhand von Haushaltsdaten der EVS und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen wir in einem aktuellen Working Paper (Behringer et al., 2023), dass für den Zeitraum von 1998 bis 2018 ein robuster positiver Zusammenhang zwischen steigenden Einkommen am oberen Ende der Verteilung (repräsentativ für die Zunahme der Einkommensungleichheit) und den Konsumausgaben darunterliegender Haushalte besteht. Dies gilt insbesondere für Eigentümerhaushalte in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung, die einen zunehmenden Anteil ihres verfügbaren Einkommens konsumieren.
Welche Rolle spielen soziale Vergleiche und wo sind sie wichtig?
Eine mögliche Erklärung liefern soziale Statusvergleiche, die einen direkten Zusammenhang zwischen zunehmender Einkommensungleichheit und den Konsumausgaben zurückfallender Haushalte nahelegen (Bertrand und Morse, 2016; Frank et al., 2014; Veblen, 2009). Statusorientierte Menschen evaluieren kontinuierlich ihre Situation in Referenz zu ihrem sozialen Umfeld. In Bezug auf das Konsumverhalten orientieren sie sich in aller Regel an anderen, die besser ausgestattet sind als sie selbst.
Wenn die Einkommensungleichheit zunimmt, ändert sich für die Verlierer dieser Entwicklung der Bezugsrahmen. Um den eigenen sozialen Status trotz relativer Einkommensverluste aufrechtzuerhalten, muss ein größerer Einkommensanteil für Konsum verwendet werden. Dies gilt insbesondere für Bereiche, die als besonders relevant für den sozioökonomischen Status angesehen werden (sogenannte positionale Güter).
Einerseits eignen sich Güter als Statussymbole, deren Konsum für andere besonders wahrnehmbar ist. Sichtbarer Konsum erlaubt es, finanziellen Wohlstand zu signalisieren. Der Konsum positionaler Güter kann aber auch investiven Charakter haben. Wer etwa bereit ist, mehr für eine Wohnung zu zahlen als andere, kann in einen Stadtteil mit besserer öffentlicher Infrastruktur oder potenziell wertvollen sozialen Netzwerken ziehen.
Die nächste Abbildung zeigt die Ergebnisse unserer für die deutsche Bevölkerung repräsentativen Befragung zur Messung der Positionalität verschiedener Einkommensverwendungen anhand der Konzepte Sichtbarkeit und Statusrelevanz (Behringer et al., 2023). Die Sichtbarkeit einer Kategorie ergibt sich dabei aus Antworten auf die Frage, wie schnell die befragten Personen überdurchschnittliche Ausgaben einer Person aus einem ähnlichen Haushalt bemerken würden. Die Sichtbarkeit reflektiert insbesondere das Motiv, über höhere Aufwendungen finanziellen Wohlstand zu demonstrieren. Die Werte der Statusrelevanz resultieren aus Antworten auf die Frage, ob überdurchschnittliche Ausgaben im sozialen Umfeld einer befragten Person als Symbol für einen höheren Status gelten. Das jeweilige Gut muss hier nicht zwangsläufig durch andere wahrnehmbar sein und spiegelt somit auch solche Statusmotive wider, die über demonstratives Konsumverhalten hinausgehen.
Ein wichtiges Ergebnis der Befragung ist die Bewertung der Ersparnis. Einerseits ist Sparen die am wenigsten sichtbare Kategorie. Eine verringerte Ersparnisbildung geht daher immer mit einer sichtbareren Verwendung des verfügbaren Einkommens einher. Andererseits wird Sparen auf der Skala der Statusrelevanz nur von den Kategorien Wohnen, Fahrzeuge und Urlaube übertroffen. Eine Reduzierung der Sparquoten zugunsten des Konsums impliziert also nur dann eine statusrelevantere Einkommensverwendung, wenn zusätzliche Ausgaben auf diese drei Bereiche entfallen.
Statuswettbewerb zeigt sich in der Einkommensverwendung
Bei Verknüpfung unserer Befragungsdaten mit einer detaillierten Analyse verschiedener Komponenten der in der EVS dokumentierten Konsumausgaben zeigt sich, dass es mit zunehmenden Einkommen am oberen Ende der Verteilung bei allen zurückfallenden Haushalten zu einer systematischen Verschiebung innerhalb des Konsumbudgets hin zu sichtbareren und statusrelevanteren Gütern kommt.
Mieterhaushalte reduzieren ihre statusrelevante Ersparnis weder für höheren sichtbaren Konsum noch für höhere Ausgaben in den noch statusrelevanteren Kategorien, sondern verringern stattdessen ihre Ausgaben für weniger positionale Güter. Bei den Eigentümerhaushalten kommt es hingegen mit zunehmender Einkommensungleichheit zu einer substanziellen Reduktion der statusrelevanten Ersparnis. Die Verringerung der Sparquoten erfolgt jedoch ausschließlich zugunsten einer Ausweitung der Ausgaben in den drei noch statusrelevanteren Kategorien, wobei der größte Teil auf die Wohnausgaben entfällt. Relativ zurückfallende Haushalte sind also nur für statusrelevantere Konsumkomponenten und insbesondere Wohneigentum bereit, ihre relative Konsumposition durch Ersparnisreduzierung aufrechtzuerhalten. Das Motiv des demonstrativen Konsums scheint hier nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Serie Ungleichheit und Macht
Die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ist eines der bedeutendsten Probleme unserer Zeit. Zugleich steigt das wissenschaftliche Interesse und liefert neue Erkenntnisse mit Blick auf die drängendsten Fragen und Antworten zu verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit und ihren zugrundeliegenden Machstrukturen.
Für die Debattenreihe „Ungleichheit und Macht“ haben Doktorand:innen aus dem Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen diese neuen Erkenntnisse aufgeschrieben. In den Beiträgen stellen die Promovierenden, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert werden, Teilergebnisse ihrer Forschung vor und diskutieren verbundene gesellschaftliche Herausforderungen sowie politische Handlungsoptionen. Mit dem Fokus auf Ungleichheitsdimensionen und zugrunde liegenden Machtverhältnissen reicht der thematische Bogen von Armut und Besteuerung bis zu Arbeitsmarkt‑, Gleichstellungs- oder Klimapolitik. Durch die thematischen Breite und Vielfalt der eingesetzten Methoden stoßen die Autor:innen eine weiterführende gesellschaftliche Debatte darüber an, wie der steigenden Ungleichheit begegnet werden kann.
Die Reihe erscheint in regelmäßigen Abständen zwischen April und Juni 2023 im Makronom. Hier im ifsoblog dokumentieren wir die Serie anschließend ebenfalls.
Diese systematischen Veränderungen im Ausgabeverhalten deuten darauf hin, dass höhere Einkommensungleichheit über eine Intensivierung konsumorientierter Statuswettbewerbe eine Ausweitung der Konsumausgaben und eine Reduktion der Sparquoten privater Haushalte bewirkt. Besonders einkommensschwache Wohnungseigentümer haben zunehmende finanzielle Belastungen auf sich genommen, um am hochgradig statusrelevanten Markt für Wohneigentum teilzunehmen. Dies hatte eine Spreizung der Sparquoten entlang der Einkommensverteilung zur Folge, mit potenziell langfristigen Folgen für die Vermögensverteilung (Saez und Zucman, 2016). Höhere Sparquoten bei einkommensschwachen Mieterhaushalten zeigen, dass diese – im Vergleich zu Eigentümern mit ähnlichem Einkommensniveau – deutlich besser abgeschnitten haben als bisher angenommen (vgl. etwa Dustmann et al., 2022).
Vermutlich auch in Erwartung steigender Häuserpreise zeigen Haushalte eine große Bereitschaft, ihre Sparquoten für Ausgaben für Wohneigentum zu reduzieren. Solange die Immobilienpreise steigen, können Vermögenszuwächse zwar das Defizit bei der Ersparnisbildung auffangen. Diese Erwartung könnte die Unterschiede im Verhalten der Mieter- und Eigentümerhaushalte erklären. Insbesondere die Haushalte in unteren Bereichen der Einkommensverteilung nehmen jedoch im Statuswettbewerb eine hohe Ausgabenbelastung für Wohneigentum in Kauf und sind mit ihrem illiquiden Immobilienvermögen einem erhöhten finanziellen Risiko ausgesetzt. Im Zuge der Zinswende zeichnet sich bereits eine Trendwende bei den Immobilienpreisen ab (Amaral et al., 2023). Viele Haushalte könnten sich mit ihren hohen Ausgaben für Wohneigentum übernommen haben.
Häufig wird die Sorge geäußert, dass die vergleichsweise restriktive Vergabe von Immobilienkrediten in Deutschland die Möglichkeiten des Vermögensaufbaus durch Wohneigentum weniger wohlhabender Haushalte einschränkt. Deregulierungsbestrebungen in Bezug auf die Immobilienkreditvergabe mit dem Ziel, auch einkommensschwächeren Haushalten eine nachhaltige Vermögensbildung zu ermöglichen, erscheinen jedoch als fehlgeleitet, solange eine entsprechende Einkommensentwicklung ausbleibt. Hingegen konnte die strikte Regulierung des deutschen Mietmarktes zumindest in Teilen Schutz vor zunehmendem Statusdruck bieten und einen noch stärkeren Anstieg der Wohnausgaben zu Lasten der Ersparnisbildung verhindern. Daher wäre beispielsweise eine Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus eine sinnvolle Alternative, um einkommensschwache Haushalte finanziell zu entlasten.
Die Politische Ökonomie der Ungleichheit
Das Promotionskolleg „Die Politische Ökonomie der Ungleichheit“ untersucht Ausmaß, Ursachen und Folgen steigender sozioökonomischer Ungleichheit. Materielle Unterschiede stehen dabei im Mittelpunkt, werden aber stets in Zusammenhang zu politischen, sozialen und ökologischen Aspekten gesetzt. Die Forschungspraxis ist von einem interdisziplinären und anwendungsorientierten sozioökonomischen Ansatz geprägt. Zur Übersicht aller Blogbeiträge der Mitglieder aus dem Promotionskolleg
Dieser Beitrag wurde zunächst auf makronom.de veröffentlicht.
Kurz zusammengefasst
Der vorliegende Artikel behandelt die steigende Einkommensungleichheit in Deutschland und deren Auswirkungen auf den Konsum, insbesondere in Bezug auf Wohneigentum. In den 2000er Jahren stieg die Einkommensungleichheit in Deutschland stark an, wobei Haushalte mit niedrigeren Einkommen besonders betroffen waren. Dabei erhöhte sich die Konsumungleichheit nicht in gleichem Maße wie die Einkommensungleichheit. Haushalte mit niedrigeren Einkommen hielten ihr Konsumniveau aufrecht, indem sie vermehrt auf ihre Ersparnisse zurückgriffen. Dies führte zu einer Spreizung der Sparquoten entlang der Einkommensverteilung und potenziell langfristigen Auswirkungen auf die Vermögensungleichheit. Die Studie deutet darauf hin, dass höhere Einkommensungleichheit dazu führt, dass Haushalte mit niedrigerem Einkommen mehr für statusorientierten Konsum ausgeben, insbesondere für Wohneigentum. Soziale Statusvergleiche spielen hierbei eine wichtige Rolle.