Die Pan­de­mie hat die Debatte um eine stär­kere Besteue­rung von Ver­mö­gen wie­der­be­lebt. Wer setzt das Thema auf die Agenda und wann wer­den For­de­run­gen umgesetzt?

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o könn­ten die Rei­chen für die Coro­na­krise zah­len“ – unter die­sem Titel wurde im SPIEGEL bereits im ers­ten Corona-Lock­down letz­ten Jah­res dar­über dis­ku­tiert, ob die beson­ders Wohl­ha­ben­den in Form zusätz­li­cher Steu­ern einen stär­ke­ren Bei­trag zur Bewäl­ti­gung der Krise leis­ten soll­ten. Seit­dem ist eine leb­hafte Dis­kus­sion über Ver­mö­gens­ab­gabe, Corona-Soli und Ver­mö­gen­steuer ent­brannt, und Grüne, Linke und SPD for­dern im aktu­el­len Wahl­kampf die Wie­der­ein­füh­rung einer Vermögensteuer.

Politische Ökonomie progressiver Besteuerung

Aus Sicht poli­ti­k­öko­no­mi­scher For­schung sind diese aktu­el­len Debat­ten wenig über­ra­schend. Neuere Stu­dien wei­sen seit eini­ger Zeit dar­auf hin, dass in tief­grei­fen­den (öko­no­mi­schen) Kri­sen hohe Ein­kom­men und Ver­mö­gen häu­fi­ger stär­ker besteu­ert werden.

Das dahin­ter­lie­gende Argu­ment ist fol­gen­des: In Momen­ten, in denen große Teile der Bevöl­ke­rung unter einer (Wirtschafts-)Krise lei­den, wäh­rend die Rei­chen als weni­ger betrof­fen oder sogar als Pro­fi­teure wahr­ge­nom­men wer­den, erfah­ren soziale Ungleich­hei­ten eine höhere Auf­merk­sam­keit und For­de­run­gen nach Umver­tei­lung neh­men zu.

Die Autor*innen

Lea Elsäs­ser ist Post­doc am Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der JGU Mainz und war bis 2022 Post­Doc am ifso. Ihre Schwer­punkte: Soziale Ungleich­heit und poli­ti­sche Reprä­sen­ta­tion, Respon­si­vi­tät, Ver­glei­chende Poli­ti­sche Ökonomie

Flo­rian Fas­ten­rath ist Post­Doc am ifso. Seine Schwer­punkte: Ver­glei­chende Poli­ti­sche Öko­no­mie, Ungleich­heit, Öffent­li­che Finan­zen, Finan­zia­li­sie­rung und fall­ori­en­tierte Methoden

Miriam Rehm ist Pro­fes­so­rin am ifso. Ihre Schwer­punkte: Ver­tei­lung, Arbeits­öko­no­mie, Wirt­schafts­po­li­tik, quan­ti­ta­tive empi­ri­sche Metho­den und agen­ten­ba­sierte Modellierung

Dies ist ins­be­son­dere dann der Fall, wenn der Staat durch sein eige­nes Han­deln den Ein­druck ver­stärkt, dass die Las­ten ungleich ver­teilt wer­den – wie etwa durch die mit Steu­er­geld geret­te­ten Ban­ken wäh­rend der Finanz­krise 2008/2009.

Wer­den die For­de­run­gen nach einer „fai­ren Betei­li­gung“ der Wohl­ha­ben­den stark genug, steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass Rei­che stär­ker an der Finan­zie­rung des Sozi­al­staats betei­ligt wer­den. Lim­berg (2019) zeigt bei­spiels­weise, dass auf­grund der Wirt­schafts- und Finanz­krise in vie­len Län­dern die Spit­zen­ein­kom­mens­sätze erhöht wurden.

Parteien und die Forderung nach Vermögensbesteuerung

Wäh­rend diese Zusam­men­hänge auf Makro­ebene gut doku­men­tiert sind, sind die kon­kre­ten Mecha­nis­men, wie es dazu kommt, bis­her wenig erforscht. Eine Frage dabei ist, wel­che Rolle die poli­ti­schen Par­teien in die­sem Pro­zess spie­len. Wel­che Par­teien machen sich in Kri­sen­zei­ten für eine pro­gres­si­vere Besteue­rung stark und unter wel­chen Umstän­den gelingt es, die auf­kom­men­den For­de­run­gen nach einer fai­ren Las­ten­ver­tei­lung auch umzusetzen?

Um die­sen Fra­gen nach­zu­ge­hen, haben wir am Bei­spiel der Ver­mö­gen­steuer für die Zeit vor und nach der Wirt­schafts- und Finanz­krise 2008 ff. zunächst die legis­la­ti­ven Akti­vi­tä­ten der Par­teien in drei­zehn euro­päi­schen Län­dern erhoben.

In Abbil­dung 1 ist – auf­sum­miert für alle Län­der – zu sehen, wie viele Geset­zes­an­träge für eine Aus­wei­tung (Ein­füh­rung, Wie­der­ein­füh­rung, Höhere Steu­er­sätze etc.) und wie viele Anträge für eine Redu­zie­rung von Ver­mö­gen­steu­ern ein­ge­bracht wur­den – und von wel­chen Par­teien. Es zeigt sich ein kla­res Mus­ter: In den Jah­ren nach 2008 neh­men die ein­ge­brach­ten Geset­zes­an­träge nach der (Wieder-)Einführung von Ver­mö­gen­steu­ern oder deren Aus­wei­tung deut­lich zu und wer­den – der all­ge­mei­nen Erwar­tung ent­spre­chend – in über­wie­gen­der Mehr­heit von lin­ken Par­teien ein­ge­bracht (siehe Abbil­dung 1).

Die Finanz- und Wirt­schafts­krise hat also – ähn­lich wie die COVID-19 Pan­de­mie der­zeit – dazu geführt, dass die Besteue­rung von Ver­mö­gen ver­stärkt auf die poli­ti­sche Agenda kam, wobei es vor­nehm­lich linke Par­teien waren, die diese For­de­run­gen auf­ge­nom­men und in den poli­ti­schen Pro­zess getra­gen haben. Gleich­zei­tig gab es nur wenige Län­der, in denen sich die ver­stärk­ten For­de­run­gen nach einer Ein­füh­rung oder Aus­wei­tung der Ver­mö­gen­steuer auch poli­tisch durch­ge­setzt haben.

Abbil­dung 1: For­de­run­gen für und gegen Ver­mö­gen­steu­ern nach Par­teien. Quelle: Eigene Darstellung

Erläu­te­rung: Fol­gende Län­der sind ent­hal­ten: Öster­reich, Däne­mark, Finn­land, Frank­reich, Deutsch­land, Island, Irland, Liech­ten­stein, Luxem­burg, Nie­der­lande, Spa­nien, Schwe­den, Norwegen.

Unter welchen Bedingungen wird Vermögensbesteuerung politisch umgesetzt?

Um schließ­lich bes­ser zu ver­ste­hen, warum die Krise nun in eini­gen Län­dern den Anstoß für eine höhere Ver­mö­gens­be­steue­rung gab, wäh­rend es in ande­ren Län­dern bei blo­ßen Geset­zes­vor­schlä­gen blieb, haben wir die Mecha­nis­men und poli­ti­schen Pro­zesse im Zeit­raum 2007–2014 in drei Fall­stu­dien analysiert.

Par­tei­in­ter­nen Dyna­mi­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in Mitte-Links-Par­teien kommt eine Schlüs­sel­rolle zu.

In den drei unter­such­ten Län­dern Deutsch­land, Spa­nien und Öster­reich waren Mitte-Links-Par­teien im Unter­su­chungs­zeit­raum min­des­tens einige Jahre an der Regie­rung betei­ligt. Die bis dato gewon­ne­nen Erkennt­nisse deu­ten dar­auf hin, dass par­tei­in­terne Dyna­mi­ken und Macht­ver­hält­nisse in Mitte-Links-Par­teien eine Schlüs­sel­rolle zukommt. Der Ver­gleich zeigt sehr ein­drück­lich, dass die Erhö­hung von Ver­mö­gen­steu­ern auch inner­halb sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Par­teien selbst ein wie­der­keh­ren­des und höchst kon­tro­vers dis­ku­tier­tes Thema ist. Dabei scheint die Posi­tio­nie­rung in die­ser Frage einen kla­ren Sym­bol­wert für die poli­ti­sche Gesamt­aus­rich­tung der Par­teien zu haben.

Die Bedeutung von Politikberatung und verbündeten Organisationen

Schließ­lich kön­nen wir zei­gen, dass eine höhere Besteue­rung von Ver­mö­gen dort durch­ge­setzt wer­den kann, wo der „linke Flü­gel“ der Sozialdemokrat*innen zusam­men mit links­ge­rich­te­ten „policy experts“ (z. B. wirt­schafts­po­li­ti­schen Berater*innen) und ver­bün­de­ten Orga­ni­sa­tio­nen (z. B. Gewerk­schaf­ten) die Macht­ver­hält­nisse in der Par­tei zu ihren Guns­ten ver­schie­ben kann.

Nur wenn eine Inter­es­sen­ko­ali­tion aus „Policy Experts“, ver­bün­de­ten Orga­ni­sa­tio­nen und Par­tei­flü­geln gemein­sam agiert, kann die Par­tei­füh­rung über­zeugt wer­den, Umver­tei­lung zu einem zen­tra­len Thema zu machen.

Nur wenn eine sol­che Inter­es­sen­ko­ali­tion gemein­sam agiert und „policy experts“ in der Lage sind, poli­ti­sche Vor­schläge und tech­ni­sches Wis­sen ent­schei­dend in den Pro­zess ein­zu­brin­gen, kann die Par­tei­füh­rung davon über­zeugt wer­den, die kri­sen­be­dingte Umver­tei­lung und Besteue­rung von Reich­tum zu einem zen­tra­len (Wahlkampf-)Thema zu machen.

Es bleibt abzu­war­ten, inwie­fern Mitte-Links Par­teien in der bereits ange­lau­fe­nen, ent­schei­den­den Phase des Bun­des­tags­wahl­kamp­fes die Wie­der­erhe­bung der Ver­mö­gen­steuer zur gerech­ten Kri­sen­fi­nan­zie­rung offen­siv the­ma­ti­sie­ren. Ebenso wird sich zei­gen, ob diese For­de­rung die anste­hen­den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen über­le­ben wird, oder ob sie ähn­lich wie 2013 als reine Ver­hand­lungs­masse den pro­mi­nen­te­ren The­men wie etwa dem Min­dest­lohn zum Opfer fällt.

Kurz zusammengefasst

Die Corona-Pan­de­mie hat dazu bei­getra­gen, die Debatte um eine stär­kere Besteue­rung von Ver­mö­gen wie­der­zu­be­le­ben. Das ist zunächst wenig über­ra­schend, lässt sich doch his­to­risch erken­nen, dass tief­grei­fende Kri­sen häu­fig zu einer pro­gres­si­ve­ren Besteue­rung geführt haben. Weni­ger gut erforscht sind hin­ge­gen die kon­kre­ten Mecha­nis­men: Wer sind die poli­ti­schen Par­teien, die sich in Kri­sen­zei­ten für eine pro­gres­si­vere Besteue­rung ein­set­zen und unter wel­chen Umstän­den gelingt es, die auf­kom­men­den For­de­run­gen auch poli­tisch umzu­set­zen? Es zeigt sich, dass es hier ins­be­son­dere auf die inter­nen Dyna­mi­ken und die Macht­ver­hält­nisse in Mitte-Links-Par­teien ankommt. Ent­schei­dend ist die Bil­dung einer Inter­es­sen­ko­ali­tion aus Par­tei­flü­gel, „policy experts“ und ver­bün­de­ten Organisationen.