Die Pandemie hat die Debatte um eine stärkere Besteuerung von Vermögen wiederbelebt. Wer setzt das Thema auf die Agenda und wann werden Forderungen umgesetzt?
o könnten die Reichen für die Coronakrise zahlen“ – unter diesem Titel wurde im SPIEGEL bereits im ersten Corona-Lockdown letzten Jahres darüber diskutiert, ob die besonders Wohlhabenden in Form zusätzlicher Steuern einen stärkeren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten sollten. Seitdem ist eine lebhafte Diskussion über Vermögensabgabe, Corona-Soli und Vermögensteuer entbrannt, und Grüne, Linke und SPD fordern im aktuellen Wahlkampf die Wiedereinführung einer Vermögensteuer.
Politische Ökonomie progressiver Besteuerung
Aus Sicht politikökonomischer Forschung sind diese aktuellen Debatten wenig überraschend. Neuere Studien weisen seit einiger Zeit darauf hin, dass in tiefgreifenden (ökonomischen) Krisen hohe Einkommen und Vermögen häufiger stärker besteuert werden.
Das dahinterliegende Argument ist folgendes: In Momenten, in denen große Teile der Bevölkerung unter einer (Wirtschafts-)Krise leiden, während die Reichen als weniger betroffen oder sogar als Profiteure wahrgenommen werden, erfahren soziale Ungleichheiten eine höhere Aufmerksamkeit und Forderungen nach Umverteilung nehmen zu.
Die Autor*innen
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Staat durch sein eigenes Handeln den Eindruck verstärkt, dass die Lasten ungleich verteilt werden – wie etwa durch die mit Steuergeld geretteten Banken während der Finanzkrise 2008/2009.
Werden die Forderungen nach einer „fairen Beteiligung“ der Wohlhabenden stark genug, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Reiche stärker an der Finanzierung des Sozialstaats beteiligt werden. Limberg (2019) zeigt beispielsweise, dass aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise in vielen Ländern die Spitzeneinkommenssätze erhöht wurden.
Parteien und die Forderung nach Vermögensbesteuerung
Während diese Zusammenhänge auf Makroebene gut dokumentiert sind, sind die konkreten Mechanismen, wie es dazu kommt, bisher wenig erforscht. Eine Frage dabei ist, welche Rolle die politischen Parteien in diesem Prozess spielen. Welche Parteien machen sich in Krisenzeiten für eine progressivere Besteuerung stark und unter welchen Umständen gelingt es, die aufkommenden Forderungen nach einer fairen Lastenverteilung auch umzusetzen?
Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir am Beispiel der Vermögensteuer für die Zeit vor und nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 ff. zunächst die legislativen Aktivitäten der Parteien in dreizehn europäischen Ländern erhoben.
In Abbildung 1 ist – aufsummiert für alle Länder – zu sehen, wie viele Gesetzesanträge für eine Ausweitung (Einführung, Wiedereinführung, Höhere Steuersätze etc.) und wie viele Anträge für eine Reduzierung von Vermögensteuern eingebracht wurden – und von welchen Parteien. Es zeigt sich ein klares Muster: In den Jahren nach 2008 nehmen die eingebrachten Gesetzesanträge nach der (Wieder-)Einführung von Vermögensteuern oder deren Ausweitung deutlich zu und werden – der allgemeinen Erwartung entsprechend – in überwiegender Mehrheit von linken Parteien eingebracht (siehe Abbildung 1).
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat also – ähnlich wie die COVID-19 Pandemie derzeit – dazu geführt, dass die Besteuerung von Vermögen verstärkt auf die politische Agenda kam, wobei es vornehmlich linke Parteien waren, die diese Forderungen aufgenommen und in den politischen Prozess getragen haben. Gleichzeitig gab es nur wenige Länder, in denen sich die verstärkten Forderungen nach einer Einführung oder Ausweitung der Vermögensteuer auch politisch durchgesetzt haben.
Abbildung 1: Forderungen für und gegen Vermögensteuern nach Parteien. Quelle: Eigene Darstellung
Erläuterung: Folgende Länder sind enthalten: Österreich, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, Liechtenstein, Luxemburg, Niederlande, Spanien, Schweden, Norwegen.
Unter welchen Bedingungen wird Vermögensbesteuerung politisch umgesetzt?
Um schließlich besser zu verstehen, warum die Krise nun in einigen Ländern den Anstoß für eine höhere Vermögensbesteuerung gab, während es in anderen Ländern bei bloßen Gesetzesvorschlägen blieb, haben wir die Mechanismen und politischen Prozesse im Zeitraum 2007–2014 in drei Fallstudien analysiert.
In den drei untersuchten Ländern Deutschland, Spanien und Österreich waren Mitte-Links-Parteien im Untersuchungszeitraum mindestens einige Jahre an der Regierung beteiligt. Die bis dato gewonnenen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass parteiinterne Dynamiken und Machtverhältnisse in Mitte-Links-Parteien eine Schlüsselrolle zukommt. Der Vergleich zeigt sehr eindrücklich, dass die Erhöhung von Vermögensteuern auch innerhalb sozialdemokratischer Parteien selbst ein wiederkehrendes und höchst kontrovers diskutiertes Thema ist. Dabei scheint die Positionierung in dieser Frage einen klaren Symbolwert für die politische Gesamtausrichtung der Parteien zu haben.
Die Bedeutung von Politikberatung und verbündeten Organisationen
Schließlich können wir zeigen, dass eine höhere Besteuerung von Vermögen dort durchgesetzt werden kann, wo der „linke Flügel“ der Sozialdemokrat*innen zusammen mit linksgerichteten „policy experts“ (z. B. wirtschaftspolitischen Berater*innen) und verbündeten Organisationen (z. B. Gewerkschaften) die Machtverhältnisse in der Partei zu ihren Gunsten verschieben kann.
Nur wenn eine solche Interessenkoalition gemeinsam agiert und „policy experts“ in der Lage sind, politische Vorschläge und technisches Wissen entscheidend in den Prozess einzubringen, kann die Parteiführung davon überzeugt werden, die krisenbedingte Umverteilung und Besteuerung von Reichtum zu einem zentralen (Wahlkampf-)Thema zu machen.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern Mitte-Links Parteien in der bereits angelaufenen, entscheidenden Phase des Bundestagswahlkampfes die Wiedererhebung der Vermögensteuer zur gerechten Krisenfinanzierung offensiv thematisieren. Ebenso wird sich zeigen, ob diese Forderung die anstehenden Koalitionsverhandlungen überleben wird, oder ob sie ähnlich wie 2013 als reine Verhandlungsmasse den prominenteren Themen wie etwa dem Mindestlohn zum Opfer fällt.
Kurz zusammengefasst
Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, die Debatte um eine stärkere Besteuerung von Vermögen wiederzubeleben. Das ist zunächst wenig überraschend, lässt sich doch historisch erkennen, dass tiefgreifende Krisen häufig zu einer progressiveren Besteuerung geführt haben. Weniger gut erforscht sind hingegen die konkreten Mechanismen: Wer sind die politischen Parteien, die sich in Krisenzeiten für eine progressivere Besteuerung einsetzen und unter welchen Umständen gelingt es, die aufkommenden Forderungen auch politisch umzusetzen? Es zeigt sich, dass es hier insbesondere auf die internen Dynamiken und die Machtverhältnisse in Mitte-Links-Parteien ankommt. Entscheidend ist die Bildung einer Interessenkoalition aus Parteiflügel, „policy experts“ und verbündeten Organisationen.