Neue Forschungen zeigen, dass höhere Ungleichheit auch ursächlich für die Klimakrise ist. Notwendig ist daher eine klimasoziale Politik, um die Effektivität von Klimaschutzmaßnahmen zu steigern.
ie bisherige Klimapolitik hat es nicht geschafft, die notwendige Trendwende herbeizuführen: Im Jahr 2022 sind die Emissionen in Deutschland trotz geringerer Energienachfrage nicht gesunken und 2021 sind sie sogar gestiegen (Agora Energiewende, 2023). Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, müssten die Emissionen in den reichen Ländern fortan um mindestens 10% pro Jahr sinken (Anderson et al., 2020). Für diese Emissionsminderungen muss die Effektivität von Klimapolitik massiv gesteigert werden.
Bisher wurde Klimapolitik oft CO2-zentriert gedacht, mit Emissionsminderung als übergeordnetem Ziel. Dieses Ziel bestimmte, welche Instrumente ausgewählt wurden. Verteilungseffekte wurden nachgelagert betrachtet. Ein Beispiel ist der CO2-Preis, der Emissionen mindern und dessen überproportionale Belastung ärmerer Menschen durch eine Pro-Kopf-Rückerstattung ausgeglichen werden soll. Eine Einbettung in eine breitere sozialreformerische Agenda, wie es etwa der Green New Deal vorschlägt, wird nicht angestrebt, häufig sogar als kontraproduktiv gesehen (Mann, 2019).
Die Autorinnen
Julia Cremer ist Stipendiatin im Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ und Co-Host des Podcast „In der Wirtschaft“. Ihre Schwerpunkte: Politische Ökonomie, Sozial-Ökologische Transformation, Ungleichheit.
Vera Huwe ist Stipendiatin im Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“. Ihre Schwerpunkte: sozial-ökologische Verkehrspolitik, intersektionale Perspektiven auf Ungleichheit, Philosophie der VWL.
Ungleichheit und Klimakrise verstärken sich gegenseitig
Im Folgenden wollen wir aufzeigen, dass Ungleichheit analytisch relevant für die Begrenzung der Klimakatastrophe ist. Denn: Ungleichheit ist eine ihrer Ursachen. Angelehnt an eine im letzten Jahr erschienene Überblicksstudie skizzieren wir Mechanismen, durch die Ungleichheitsreduktion die Transformation zu einer klimaneutralen Versorgung erleichtert. Wenn dieser ursächliche Zusammenhang gilt, ist eine nachgelagerte Adressierung von Ungleichheit unzureichend. Eine integrierte Klima- und Verteilungspolitik ist dann nicht nur wertvoll für eine gerechtere, inklusive Gesellschaft, sondern auch klimapolitisch effektiver als eine rein auf CO2-Minderung fokussierte Klimapolitik.
Serie Ungleichheit und Macht
Die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ist eines der bedeutendsten Probleme unserer Zeit. Zugleich steigt das wissenschaftliche Interesse und liefert neue Erkenntnisse mit Blick auf die drängendsten Fragen und Antworten zu verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit und ihren zugrundeliegenden Machstrukturen.
Für die Debattenreihe „Ungleichheit und Macht“ haben Doktorand:innen aus dem Promotionskolleg „Politische Ökonomie der Ungleichheit“ am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen diese neuen Erkenntnisse aufgeschrieben. In den Beiträgen stellen die Promovierenden, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert werden, Teilergebnisse ihrer Forschung vor und diskutieren verbundene gesellschaftliche Herausforderungen sowie politische Handlungsoptionen. Mit dem Fokus auf Ungleichheitsdimensionen und zugrunde liegenden Machtverhältnissen reicht der thematische Bogen von Armut und Besteuerung bis zu Arbeitsmarkt‑, Gleichstellungs- oder Klimapolitik. Durch die thematischen Breite und Vielfalt der eingesetzten Methoden stoßen die Autor:innen eine weiterführende gesellschaftliche Debatte darüber an, wie der steigenden Ungleichheit begegnet werden kann.
Die Reihe erscheint in regelmäßigen Abständen zwischen April und Juni 2023 im Makronom. Hier im ifsoblog dokumentieren wir die Serie anschließend ebenfalls.
Die verheerenden Folgen der Klimakrise sind ökonomisch relevant. Für den Zeitraum von 2022 bis 2050 werden die volkswirtschaftlichen Folgekosten allein in Deutschland auf bis zu 900 Milliarden Euro geschätzt (Flaute et al., 2022). Dennoch wirkt die Klimakrise nicht für alle gleich: Sie trifft sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen – sowohl in globaler Perspektive als auch innerhalb eines Landes – im Mittel häufiger und heftiger (Chancel et al., 2023, Hsiang et al., 2019). Bisherige Transformationsversuche haben Ungleichheit in Teilhabechancen und Vermögen tendenziell verstärkt (Sovacool, 2021). Zudem zeichnet sich ab, dass der Zugang reicher Personen zu klimaresilienten Umgebungen auf der Ausgrenzung und Vertreibung marginalisierter Menschen beruht (Rice et al., 2021).
Weniger Superreiche, weniger energieintensiver Luxuskonsum
Weniger bekannt, für die erforderliche Effektivitätssteigerung aber bedeutsam ist, dass auch der umgekehrte Wirkzusammenhang gilt: Ungleichheit wirkt auf die Entwicklung der Klimakrise. Ungleichheit beeinflusst die Möglichkeiten der Transformation unter anderem auf der Ebene des Konsums, der Produktion und der Gesellschaft.
Auf der Ebene des Konsums führt geringere Ungleichheit dazu, dass sich die Energienachfrage stärker zu Grundgütern verschiebt, die leichter zu dekarbonisieren sind als Luxusgüter. In Deutschland verbraucht das vermögendste Prozent mehr als 20-mal so viel Energie wie die Menschen in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung (Rehm und Chancel, 2022). Energieungleichheit dieses Ausmaßes verbirgt auch einen qualitativen Unterschied im Nutzungszweck, wie Grafik 1 für die EU zeigt. Energieintensive Luxusgüter, z. B. Fernreisen, große Autos und Yachten, werden fast ausschließlich von reicheren Personen konsumiert (Oswald et al., 2020). Menschen in unteren und mittleren Einkommensgruppen verbrauchen viel weniger Energie – und diese hauptsächlich für Grundgüter wie Heizen und Strom. Nicht wenige haben sogar keinen ausreichenden Zugang zu notwendigen Energiedienstleistungen, auch in Deutschland (Bouzarovski, 2013, Bouzarovski et al., 2020). Darüber hinaus sind die Emissionen der ärmsten 50% in der EU seit 1990 um bis zu 30% gesunken und liegen bereits nahe an den nachhaltigen Zielwerten für 2030, während der CO2-Ausstoß reicherer Menschen zugenommen hat (Chancel, 2022).
Weniger Ungleichheit würde dazu führen, dass Personen mit geringem Einkommen mehr Energie verbrauchen, allerdings hauptsächlich um bestehende Lücken bei der Versorgung mit Grundgütern zu schließen. Die Nachfrage nach energieintensiven Luxusgütern würde hingegen sinken. Einfach gesagt: Weniger Superreiche, weniger Privatjets. Der Knackpunkt ist: Transportemissionen sind technisch relativ schwer, Grundgüter wie Heizen und Elektrizität leichter zu dekarbonisieren. Somit würde eine Reduktion der Einkommensungleichheit die Energienachfrage zwar kurzfristig geringfügig erhöhen, mittelfristig würde jedoch der höhere Anteil an Grundgütern die technische Machbarkeit der Transformation erhöhen (Oswald et al., 2021).
Klimarelevante Produktionsentscheidungen liegen in den Händen Weniger
Auf der Ebene der Produktion behindert die Konzentration ökonomischer Entscheidungen, verstärkt durch Möglichkeiten politischer Einflussnahme, die demokratische Gestaltung des Transformationsprozesses. In Deutschland besitzt das vermögendste Prozent zwei Drittel aller Unternehmen(-santeile) und entscheidet damit, was und wie produziert wird (Bach et al., 2021). Wichtige Wirtschaftssektoren wie Chemie‑, Stahl- und Automobilindustrie sind von fossiler Energie abhängig.
Ein schneller und tiefgreifender Umbau, wie es die demokratisch beschlossenen Klimaziele erfordern, ist nicht unbedingt im Interessen der Besitzer:innen. Bei höherer Ungleichheit können Vermögende ihren privilegierten Zugang zu politischen Institutionen und Netzwerken wirksamer nutzen, um Klimapolitik einseitig zu beeinflussen (Downey et al., 2010). So haben fossile Konzerne immer wieder effektive Klimapolitik blockiert (Lucas, 2021). Eine Reduktion der Vermögenskonzentration würde mehr demokratische Kontrolle über ökonomische Prozesse erlauben und könnte den Weg freimachen für einen geplanten und sozial ausgestalteten Umbau der Produktion.
Ökonomische Sorgen erschweren gesellschaftliche Allianzen und eine breite Mobilisierung
Auf der Ebene der Gesellschaft können Sorgen vor der Verschärfung einer ohnehin prekären Situation oder dem sozialen Abstieg eine breite Mobilisierung für Klimaschutz verhindern (Vona, 2018). Die Sorge ist nicht ganz unbegründet: Auch wenn Klimapolitik grundsätzlich progressiv gestaltet werden kann, war das in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Vergangene Strukturwandelprozesse und Übergänge zu klimafreundlichen Technologien haben Ungleichheiten und soziale Nöte tendenziell verstärkt (Sovacool, 2021). Wenngleich die Transformation eine Vielzahl neuer, grüner Arbeitsplätze schafft, konzentrieren sich die negativen Beschäftigungseffekte in Branchen und Regionen, welche infolge von Globalisierungs- und Automatisierungsprozessen bereits mit vergleichbaren Entwicklungen konfrontiert waren (Vona, 2018).
Je mehr Menschen potenziell von den negativen ökonomischen Effekten wie Jobverlusten oder Preissteigerungen betroffen sind, desto eher wird die Bildung breiter gesellschaftlicher Allianzen verhindert und eine demokratische Mobilisierung für einen schnellen und gerechten Übergang erschwert. Dabei sind, wie der Schulterschluss der Bundes- und Landespolitik in Nordrhein-Westfalen mit dem RWE-Konzern im Falle Lützerath jüngst gezeigt hat, breite Bündnisse und Mobilisierung notwendiger denn je, um fossilen Interessen Einhalt zu gebieten.
Eckpfeiler einer integrierten Klima- und Verteilungspolitik
Um den Teufelskreis zwischen Ungleichheit und Klimakrise zu durchbrechen, scheint es dringend geboten, Ungleichheit bei Auswahl und Design der Klimaschutzmaßnahmen von Anfang an als zentral mitzudenken. Eine solche integrierte Klima- und Verteilungspolitik sollte die zwei Säulen (i) Reduktion von Ungleichheit und energieintensivem Luxuskonsum und (ii) ökologische Daseinsvorsorge in das Zentrum der Transformation rücken.
Erstens sollte ein Ziel sein, Einkommens- und Vermögenskonzentration am oberen Ende der Verteilung zu begrenzen, um somit energieintensiven Luxuskonsum zu reduzieren und eine demokratische Gestaltung der Transformation zu ermöglichen. Rehm und Chancel (2022) schlagen dafür eine am CO2-Gehalt des Vermögens orientierte Vermögenssteuer vor. Kapeller und andere (2021) zeigen, dass mit einem geschickten Design eine progressive Vermögenssteuer in Europa nur die reichsten 3% betreffen, die Finanzmittel für den Green New Deal verdoppeln und die Bevölkerungsgruppen, die überproportional zur Klimakrise beitragen, angemessen an der Finanzierung des Übergangs beteiligen würde.
Gleichzeitig dürften Steuern in der bisher diskutierten Größenordnung kaum prohibitiv auf die übermäßige Nutzung von weniger notwendigem, aber sehr energieintensivem Konsum wirken. Folglich wäre es eine Möglichkeit, die Nachfrage nach energieintensivem Luxuskonsum direkt zu adressieren, z. B. mit einer in der Nutzungsintensität steigenden Steuer. Büchs und Mattioli (2022) rechnen vor, dass eine Vielfluggebühr, die in der Anzahl der Flüge und den verursachten Emissionen ansteigt, immer noch progressiv wirkt. Auch ein individuelles Limit auf die Anzahl der buchbaren Flüge pro Jahr ist denkbar und würde die Lenkungswirkung weiter erhöhen. Nicht zuletzt könnte Konsum, der in Zeiten von Energie- und Klimakrise obszön erscheint, grundsätzlich untersagt werden. So forderte Scientist Rebellion kürzlich ein Verbot von Privatjets, welche die Energieintensität des Fliegens auf die Spitze treiben. Die Einsparpotentiale von nachfrageseitigem Klimaschutz sind enorm und wirken sich überwiegend positiv auf das Wohlergehen aus (Creutzig et al., 2022).
Zweitens ist eine ökologisch ausgerichtete Sozialpolitik notwendig. Diese beinhaltet zum einen den Ausbau einer guten, öffentlichen Daseinsvorsorge, um in Krisenzeiten und einer sich verändernden Umwelt allen die materiellen Voraussetzungen angemessener Lebensstandards zu ermöglichen. Eine ausgebaute öffentliche Grundversorgung würde es zudem erlauben, den Energie- und Ressourcenverbrauch notwendiger Dienstleistungen insgesamt zu reduzieren (Vogel et al., 2021). Zum anderen sollte eine ökologisch ausgerichtete Sozialpolitik vor neuen sozialen Risiken durch Transformationsprozesse, wie etwa Arbeitsplatzverlust in der fossilen Industrie, absichern. Hierzu zählen neben finanzieller Absicherung auch strukturelle industrie- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Vorschläge umfassen eine sozial-ökologische Jobgarantie, Umschulungsmaßnahmen sowie Arbeitszeitverkürzungen (Bohnenberger, 2022). Die Bereitstellung öffentlicher Daseinsvorsorge und die Absicherung gegen neue soziale Risiken kann dazu beitragen, alle Menschen zur Transformation zu befähigen und gesellschaftliche Zustimmung zu ermöglichen.
Dieser Beitrag hat gezeigt, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zwei Seiten derselben Medaille sind. Aufgrund des kausalen Zusammenhangs zwischen Ungleichheit und dem Fortschreiten der Klimakrise ist eine Reduktion von Ungleichheit zentral für die Einhaltung der 1.5 Grad-Grenze. Dieser Weg verspricht, die primär politischen Hindernisse der Klimatransformation abzubauen und die gesellschaftliche Machbarkeit einer schnellen Transformation zu erleichtern.
Die Politische Ökonomie der Ungleichheit
Das Promotionskolleg „Die Politische Ökonomie der Ungleichheit“ untersucht Ausmaß, Ursachen und Folgen steigender sozioökonomischer Ungleichheit. Materielle Unterschiede stehen dabei im Mittelpunkt, werden aber stets in Zusammenhang zu politischen, sozialen und ökologischen Aspekten gesetzt. Die Forschungspraxis ist von einem interdisziplinären und anwendungsorientierten sozioökonomischen Ansatz geprägt. Zur Übersicht aller Blogbeiträge der Mitglieder aus dem Promotionskolleg
Dieser Beitrag wurde zunächst auf makronom.de veröffentlicht.
Kurz zusammengefasst
Neuere Forschungsbefunde zeigen auf, dass höhere Ungleichheit auch ursächlich für die Klimakrise ist und somit bei der Begrenzung der Klimakatastrophe nicht außer Acht gelassen werden darf. Weil eine geringere Ungleichheit die Transformation zu einer klimaneutralen Versorgung erleichtert, ist eine integrierte Klima- und Verteilungspolitik nicht nur gesellschaftlich wertvoller oder gerechter, sondern auch klimapolitisch effektiver. Dabei zeigen Mechanismen auf drei Ebenen einen Zusammenhang zwischen Verteilungs- und Klimapolitik auf: Auf der Ebene des Konsums würde bei geringerer Ungleichheit die Reduktion von Co2-intensivem Luxuskonsum einen möglichen Mehrkonsum durch Personen mit bisher geringem Einkommen überkompensieren. Auf der Ebene der Produktion würde angesichts der Konzentration ökonomischer Entscheidungen und den Möglichkeiten demokratischer Einflussnahme die Reduktion der Vermögenskonzentration die demokratische Kontrolle über die Transformation erleichtern. Auf der gesellschaftlichen Ebene würde bei geringerer Ungleichheit weniger Mobilisierungspotential gegen Klimaschutz bestehen, weil Sorgen um die eigene soziale Lage im Zuge von Klimapolitik an Bedeutung verlieren düften. Aus diesen Gründen sollte Ungleichheit bei Auswahl und Design von Klimaschutzmaßnahmen von Anfang an mitgedacht werden: zum Einen bei der Reduktion von Einkommens- und Vermögenskonzentration und energieintensivem Luxuskonsum an der Spitze der Verteilung, etwa durch Vermögensbesteuerung und gezielte Besteuerung von sehr energieintensivem Konsum, z. B. durch eine Vielfluggebühr oder auch ein Verbot von Privatjets. Zum anderen wäre eine Politik der ökologischen Daseinsvorsorge von zentaler Bedeutung, die sich auf ein Bündel von Einzelmaßnahmen stützen könnte.