Aktu­ell wird über Arbeits­zeit­ver­län­ge­run­gen dis­ku­tiert. Doch viele Beschäf­tigte wün­schen sich eine 4‑Tage-Woche. Die Poli­tik darf dies nicht außer Acht lassen. 

I

n der öffent­li­chen Debatte in Deutsch­land wer­den seit eini­gen Jah­ren – so zuletzt auch im Bun­des­tags­wahl­kampf 2025 – kon­tro­verse Posi­tio­nen zum Thema Arbeits­zeit dis­ku­tiert. Die einen for­der­ten all­ge­mein kür­zere (bezahlte) Arbeits­zei­ten mit dem Ziel einer ver­bes­ser­ten Work-Life-Balance und einer gleich­mä­ßi­ge­ren Ver­tei­lung unbe­zahl­ter Sor­ge­ar­beit zwi­schen Män­nern und Frauen. Andere plä­dier­ten hin­ge­gen für eine Kul­tur län­ge­rer Arbeits­zei­ten vor dem Hin­ter­grund des Fach­kräf­te­man­gels und des ver­gleichs­weise nied­ri­gen Wirt­schafts­wachs­tums in Deutsch­land. Zusätz­lich wur­den inno­va­tive Ideen zur kol­lek­ti­ven Arbeits­zeit­ge­stal­tung dis­ku­tiert, so etwa die Ein­füh­rung einer sozia­len Dienst­zeit oder eine neue Wehrpflicht.

Der Autor

Till van Tre­eck ist Pro­fes­sor am ifso. Seine Schwer­punkte sind: Ein­kom­mens­ver­tei­lung aus gesamt­wirt­schaft­li­cher Per­spek­tive, ver­glei­chende poli­ti­sche Öko­no­mie, sozio­öko­no­mi­sche Bildung.

Seit der Bun­des­tags­wahl und in den lau­fen­den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen scheint die Sicht­weise, dass in Deutsch­land mehr gear­bei­tet wer­den muss, an Ein­fluss gewon­nen zu haben. Kon­kret sind unter ande­rem die Steu­er­be­frei­ung von Über­stun­den­zu­schlä­gen, die Abschaf­fung eines arbeits­freien Fei­er­ta­ges und Maß­nah­men zur Erhö­hung der Arbeits­zei­ten von Frauen im Gespräch. Dabei wün­schen sich die Beschäf­tig­ten in Deutsch­land seit Jah­ren eher kür­zere als län­gere indi­vi­du­elle Arbeits­zei­ten, auch um den Preis gerin­ge­rer Ver­dienste. Auch die Idee der 4‑Tage-Arbeits­wo­che als neue Norm für eine kür­zere Voll­zeit­be­schäf­ti­gung ist über­aus beliebt. Dies zeigt eine reprä­sen­ta­tive Beschäf­tig­ten­be­fra­gung, die Jan Beh­rin­ger, Zarah West­rich und ich im Herbst 2024 zu indi­vi­du­el­len Arbeits­zeit­wün­schen und zur Zustim­mung zu ver­schie­de­nen arbeits­zeit­po­li­ti­schen Reform­op­tio­nen durch­ge­führt haben. Eine Poli­tik, die sich an den Bedürf­nis­sen der Beschäf­tig­ten ori­en­tiert, darf dies nicht außer Acht lassen.

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ifso exper­tise ist eine Publi­ka­ti­ons­reihe wirt­schafts- und sozi­al­po­li­ti­scher Exper­ti­sen, die am oder im Umfeld des Insti­tuts für Sozio­öko­no­mie an der Uni­ver­si­tät Duis­burg-Essen enstan­den sind.

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Zur Ver­sach­li­chung der Arbeits­zeit­de­batte ist zunächst ein Blick auf die gesamt­wirt­schaft­li­chen Zah­len hilf­reich. Das Arbeits­vo­lu­men pro Kopf der Bevöl­ke­rung ist seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung vor 30 Jah­ren in etwa kon­stant, es gab also keine gesell­schaft­li­che Arbeits­zeit­ver­kür­zung. Zugleich ist die Erwerbs­tä­tig­keit um etwa 7 Mil­lio­nen Per­so­nen gestie­gen, vor allem auf­grund der gestie­ge­nen Erwerbs­tä­tig­keit bei Frauen, die im Durch­schnitt mit kür­ze­ren Wochen­ar­beits­zei­ten arbei­ten als Män­ner, und auf­grund der Zunahme der gering­fü­gi­gen Beschäf­ti­gung. Ent­spre­chend ist die jähr­li­che Arbeits­zeit pro erwerbs­tä­ti­ger Per­son gesun­ken. In die­sem Zusam­men­hang warf Fried­rich Merz, der Kanz­ler­kan­di­dat der CDU/CSU, im Wahl­kampf die Frage auf, ob die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nicht künf­tig mehr Arbeits­stun­den leis­ten soll­ten: »Wenn wir sagen, es ist ein Stück unse­rer Lebens­er­fül­lung, ein Stück unse­rer Selbst­ver­wirk­li­chung, wir haben sogar viel­leicht Freude an unse­rer Arbeit, dann kön­nen wir doch mal vor­ur­teils­frei die Frage stel­len: Warum leis­ten wir heute eigent­lich mit 45 Mil­lio­nen Erwerbs­tä­ti­gen nicht mehr Arbeits­stun­den als vor 30 Jah­ren? Da hat­ten wir sie­ben Mil­lio­nen Erwerbs­tä­tige weniger.«

Was gegen mehr Arbeit spricht

Diese Sicht­weise ist aus min­des­tens zwei Grün­den frag­wür­dig: Ers­tens ist es in einer immer rei­cher wer­den­den Gesell­schaft mit stei­gen­der Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät und in der Folge stei­gen­der rea­ler Stun­den­löhne nahe­lie­gend, dass die Indi­vi­duen sich mehr Frei­zeit leis­ten möch­ten. Die Befra­gungs­da­ten des Sozio-öko­no­mi­schen Panels (SOEP) zei­gen, dass die Beschäf­tig­ten in Deutsch­land im Durch­schnitt ihre Arbeits­zeit ver­kür­zen wol­len wür­den, wenn sie ihre Arbeits­zei­ten frei wäh­len könn­ten, auch wenn dadurch ihre Ver­dienste ent­spre­chend gerin­ger aus­fal­len wür­den. Wenn den Men­schen ein Mehr an Frei­zeit attrak­ti­ver erscheint als ein höhe­res Ein­kom­men bezie­hungs­weise mehr Kon­sum, braucht es schon starke Gründe, wenn die Poli­tik sich über die geäu­ßer­ten Wün­sche der Men­schen hin­weg­set­zen möchte. In den letz­ten Mona­ten sind jedoch eben­sol­che Stim­men zuneh­mend laut gewor­den. So äußerte sich etwa der nie­der­säch­si­sche Minis­ter­prä­si­dent Ste­phan Weil (SPD): »Mich sorgt es, wenn zu viele Men­schen mei­nen, ohne oder mit wenig Arbeit gut leben zu kön­nen. Der Stel­len­wert von Arbeit ist höher, als viele von uns das aktu­ell glauben.«

Wenn den Men­schen ein Mehr an Frei­zeit attrak­ti­ver erscheint als mehr Kon­sum, braucht es schon starke Gründe, wenn die Poli­tik sich über die geäu­ßer­ten Wün­sche der Men­schen hin­weg­set­zen möchte.

Die Logik, wonach der Anstieg der Zahl der Erwerbs­tä­ti­gen, der vor allem an der höhe­ren Erwerbs­be­tei­li­gung von Frauen liegt, zu einem höhe­ren Arbeits­vo­lu­men hätte füh­ren sol­len, impli­ziert zwei­tens, dass Frauen in einem tra­di­tio­nel­len Fami­li­en­set­ting kei­nen Ein­schrän­kun­gen bei der Erhö­hung ihrer Arbeits­zeit unter­lie­gen. Die Zah­len des SOEP zei­gen aber, dass Frauen bereits heute min­des­tens so lange arbei­ten wie Män­ner, wenn man bezahlte und unbe­zahlte Arbeit zusam­men betrach­tet. Wenn Frauen mehr bezahlt arbei­ten, ohne dass Män­ner ent­spre­chend weni­ger bezahlt arbei­ten, bedeu­tet das weni­ger Zeit für gemein­same Frei­zeit, unbe­zahlte Arbeit und Kin­der­be­treu­ung. Warum sollte eine rei­che Gesell­schaft sol­che Rück­schritte in der Lebens­qua­li­tät zulassen?

Ein alternatives Leitbild

Man­che gehen offen­bar von einem nor­ma­ti­ven Leit­bild aus, wonach der Gen­der Care Gap (Män­ner leis­ten weni­ger unbe­zahlte Sor­ge­ar­beit als Frauen) aus­schließ­lich durch Maß­nah­men ange­gan­gen wer­den sollte, die – wie der Aus­bau von Kin­der­be­treu­ungs­an­ge­bo­ten – »die not­wen­dige Zeit für Care-Arbeit in der Fami­lie redu­zie­ren. Dann könn­ten Frauen in grö­ße­rem Umfang einer Erwerbs­tä­tig­keit nach­ge­hen, Kar­rie­re­chan­cen bes­ser wahr­neh­men und ein höhe­res Ein­kom­men erzie­len«, so der Sach­ver­stän­di­gen­rat zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung. Aber auch ein ande­res Leit­bild mit dem Ziel der Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit ist vor dem Hin­ter­grund der SOEP-Daten und unse­rer Befra­gungs­er­geb­nisse nahe­lie­gend: Ins­ge­samt kür­zere Arbeits­zei­ten, und ins­be­son­dere kür­zere Arbeits­zei­ten von Män­nern, könn­ten hel­fen, dass die Sor­ge­ar­beit in der Fami­lie stress­är­mer und zwi­schen Frauen und Män­nern gerech­ter ver­teilt wird. Durch Maß­nah­men, die kür­zere Arbeits­zei­ten bei Män­nern anrei­zen, wür­den sich zugleich die Kar­rie­re­chan­cen von Frauen erhöhen.

Wer für die 4‑Tage ‑Woche ist

Die Zustim­mung zur 4‑Tage-Woche ist in unse­rer Beschäf­tig­ten­be­fra­gung sehr stark (siehe Abbil­dung), und stär­ker als der Wunsch nach ver­mehr­ten (steu­er­be­frei­ten) Über­stun­den. Inter­es­sant ist, dass die 4‑Tage-Woche bei Frauen und bei jun­gen Men­schen belieb­ter ist als bei Män­nern und älte­ren Men­schen. Bei Befrag­ten, die den Wirt­schafts­stand­ort Deutsch­land durch inter­na­tio­nale Kon­kur­renz bedroht sehen, ist die Zustim­mung zur 4‑Tage-Woche gerin­ger als bei Befrag­ten, die sich weni­ger Sor­gen um den Wirt­schafts­stand­ort machen. Per­so­nen, die Wirt­schafts­wachs­tum für eine Vor­aus­set­zung für effek­ti­ven Kli­ma­schutz hal­ten, befür­wor­ten die 4‑Tage-Woche eben­falls etwas weni­ger. Den­noch gibt es über alle Grup­pen hin­weg eine robuste Zustimmung.

Abbil­dung: Zustim­mung zur 4‑Tage-Woche nach Geschlecht, Alter, wirt­schafts­po­li­ti­schen Ein­stel­lun­gen und Par­tei­prä­fe­renz. Quelle: Beh­rin­ger et al. (2025).

Inter­es­sant ist auch, dass viele ältere Beschäf­tigte eine Arbeits­zeit­ver­kür­zung zwar für sich selbst attrak­tiv fän­den, einer betriebs- oder sogar deutsch­land­wei­ten 4‑Tage-Woche aber nur in gerin­ge­rem Maße zustim­men. Anders bei jun­gen Beschäf­tig­ten: Hier wün­schen sich rund 80 Pro­zent indi­vi­du­ell die 4‑Tage-Woche, die Zustim­mung zur betriebs- oder deutsch­land­wei­ten Ein­füh­rung ist sogar noch etwas grö­ßer. Gerade bei jun­gen Beschäf­tig­ten könn­ten kol­lek­tive Begren­zun­gen der Arbeits­zeit das kar­rie­re­ori­en­tierte »Arbei­ten um die Wette« abmil­dern: Wenn alle weni­ger arbei­ten, ver­schlech­tern sich die eige­nen Kar­rie­re­per­spek­ti­ven nicht, wenn man selbst weni­ger arbeitet.

Gerade bei jun­gen Beschäf­tig­ten könn­ten kol­lek­tive Begren­zun­gen der Arbeits­zeit das kar­rie­re­ori­en­tierte »Arbei­ten um die Wette« abmildern.

Ins­ge­samt zeigt unsere Befra­gung, dass indi­vi­du­elle und kol­lek­tive Logi­ken in der Frage nach der »rich­ti­gen« Arbeits­zeit häu­fig aus­ein­an­der­lau­fen. Das gilt für die 4‑Tage-Woche ebenso wie für den Vor­schlag einer sozia­len Dienst­zeit. Auf­fäl­lig ist hier bei­spiels­weise, dass Bes­ser­ver­die­nende eine ver­pflich­tende soziale Dienst­zeit mit ange­mes­se­ner Bezah­lung sogar eher befür­wor­ten als eine frei­wil­lige Variante.

Die Poli­tik wäre daher gut bera­ten, zum einen die indi­vi­du­ell geäu­ßer­ten Wün­sche der Beschäf­tig­ten nach kür­ze­ren Arbeits­zei­ten ernst zu neh­men. Zum ande­ren sollte eine breite Debatte über gesell­schaft­lich sinn­volle Arbeits­zeit­nor­men und ‑rege­lun­gen geführt wer­den. Soll­ten sich die arbeits­zeit­po­li­ti­schen Impulse der sich abzeich­nen­den Koali­tion aus CDU/CSU und SPD auf das Ziel gesell­schaft­li­cher Mehr­ar­beit kon­zen­trie­ren, würde dies jeden­falls die Wün­sche der Men­schen nicht abbilden.

Die­ser Bei­trag wurde zunächst auf surplusmagazin.de veröffentlicht.

Kurz zusammengefasst

Seit der Bun­des­tags­wahl 2025 scheint die Sicht­weise, dass in Deutsch­land mehr gear­bei­tet wer­den muss, an Ein­fluss gewon­nen zu haben. Doch die simple For­de­rung nach mehr Arbeit ist frag­wür­dig: Sie igno­riert die arbeits­zeit­po­li­ti­schen Wün­sche der Beschäf­tig­ten und legt ein fami­li­en­po­li­ti­sches Leit­bild zugrunde, das nicht alter­na­tiv­los ist. Wenn man die Erwerbs­tä­ti­gen fragt, spre­chen diese sich statt­des­sen für kür­zere Arbeits­zei­ten in Form einer 4‑Tage-Woche aus. Die Poli­tik wäre daher gut bera­ten, diese Wün­sche der Beschäf­tig­ten nach kür­ze­ren Arbeits­zei­ten ernst zu neh­men. Statt einer poli­tisch ver­ord­ne­ten Mehr­ar­beit ist eine breite Debatte über gesell­schaft­lich sinn­volle Arbeits­zeit­nor­men nötig.