Über die Auf­gabe, neo­klas­si­sche Modelle gut zu kri­ti­sie­ren, ein neues Anti-Lehr­buch von Tony Myatt, sowie die päd­ago­gisch wert­vol­len Bei­träge Steve Keens.

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Die­ser Tage habe ich mit eini­ger Begeis­te­rung fest­ge­stellt, dass das emble­ma­ti­sche Anti-Lehr­buch der Volks­wirt­schafts­lehre, das sich auf eine kri­ti­sche Dar­stel­lung mikro­öko­no­mi­scher Stan­dard­in­halte kon­zen­triert, nun durch einen Begleit­band zu makro­öko­no­mi­schen The­men ergänzt wurde. Die­ses Buch wurde von Tony Myatt ver­fasst, der auch einer der ursprüng­li­chen Haupt­au­to­ren des Anti-Lehr­buchs für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten ist, und trägt den sehr stim­mi­gen Titel „The Macroe­co­no­mics Anti-Text­book“. Da ich im Rah­men mei­ner Lehr­tä­tig­keit in der Regel auch neo­klas­si­sche Kon­zepte und Theo­rien ein­be­zie­hen muss, bin ich sehr dank­bar für Bücher wie diese, die von Anfang an einen kri­ti­schen Ein­stieg in die vor­herr­schen­den Theo­rien unse­rer Dis­zi­plin bie­ten (in der Ver­gan­gen­heit habe ich auch erfolg­reich John Kom­los’ „Foun­da­ti­ons of real-world eco­no­mics“ sowie die Bücher „Microe­co­no­mics/Macroe­co­no­mics in Con­text“ ver­wen­det).

Hete­ro­dox Eco­no­mics Newsletter

Der Hete­ro­dox Eco­no­mics News­let­ter wird her­aus­ge­ge­ben von Jakob Kapel­ler und erscheint im drei­wö­chent­li­chen Rhyth­mus mit Neu­ig­kei­ten aus der wis­sen­schaft­li­chen Com­mu­nity mul­ti­pa­ra­dig­ma­ti­scher öko­no­mi­scher Ansätze. Der News­let­ter rich­tet sich an einen Kreis von mehr als 7.000 Empfänger*innen und zählt schon weit mehr als 250 Ausgaben.

Es ist immer eine heikle Auf­gabe, die Irr­tü­mer des Main­stream-Den­kens in einer Weise auf­zu­zei­gen, die päd­ago­gisch sinn­voll ist, da es sich um eine Frage auf Mes­sers Schneide han­delt. Man läuft immer Gefahr, zu sehr zu ver­ein­fa­chen; ande­rer­seits wer­den die Dinge schnell tech­nisch kom­pli­ziert, wenn man zu tief in bestimmte Fein­hei­ten ein­dringt. In die­ser Hin­sicht schätze ich auch die Bei­träge von Steve Keen sehr, die sich oft durch ein aus­ge­wo­ge­nes Ver­hält­nis aus­zeich­nen. Ein Bei­spiel, das mei­ner Mei­nung nach in die­ser Hin­sicht sehr gut gelun­gen ist, ist die­ses jüngste Video, in dem Steve die Ener­gie als blin­den Fleck in der Main­stream-Theo­rie anspricht und gleich­zei­tig erklärt, warum das neo­klas­si­sche Brut­to­sub­sti­tu­ti­ons­axiom selbst­zer­stö­re­risch ist, wenn es um kaum sub­sti­tu­ier­bare Pri­mä­rin­puts geht. Gerade in die­sen Kon­tex­ten ist ein Stan­dard-Leon­tief-Ansatz wohl ein über­le­ge­nes Instru­ment für Vor­her­sa­gen. Dar­über hin­aus gelingt es Steve, diese Dis­kus­sion mit den aktu­el­len poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen in Europa zu ver­knüp­fen, die durch den rus­si­schen Angriff auf die Ukraine aus­ge­löst wur­den (indem er auf den Fall eines deut­schen Gas­em­bar­gos als Schlüs­sel­bei­spiel ver­weist), und er schlägt auch vor, dass wir das Kapi­tal-Out­put-Ver­hält­nis als (wahr­schein­lich gro­ben) Indi­ka­tor für die Ener­gie­ef­fi­zi­enz inter­pre­tie­ren kön­nen. All dies scheint eine Menge zu sein, aber Steve braucht nur 22 Minu­ten, um es anzu­spre­chen, also seien Sie auf sei­nen übli­chen stür­mi­schen Vor­trag vorbereitet ;-)

Alles Gute,

Jakob
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PS: Ich finde das Bei­spiel von Ste­ves Video sehr schön, aber es zeigt auch einen schwie­ri­gen Aspekt sol­cher Kri­tik auf: In vie­len Fäl­len gibt es in der Lite­ra­tur eine Vari­ante eines Stan­dard­mo­dells, das eine bestimmte, spe­zi­fi­schere Kri­tik zu berück­sich­ti­gen scheint. Manch­mal trifft dies nur ober­fläch­lich zu, aber zumin­dest in Bezug auf Ste­ves Kri­tik an der Beses­sen­heit des Main­streams von der Sub­sti­tu­tion gibt es eine eini­ger­ma­ßen gül­tige Aus­nahme, die ähn­li­che Beden­ken hin­sicht­lich der ent­schei­den­den Rolle der pri­mä­ren Inputs hat und ähn­li­che Argu­mente anführt wie Steve (siehe hier für das Paper, über das ich spre­che). Natür­lich ist ein struk­tu­rier­ter und kon­struk­ti­ver Dis­kurs über sol­che poten­zi­el­len Gemein­sam­kei­ten schwie­rig. Zum einen ist der Main­stream eine inkon­sis­tente Amöbe von Model­len mit „einem Modell für jeden Zweck“. Zum ande­ren wer­den sol­che Paper in der Regel für andere Main­stream-Wis­sen­schaft­ler ver­fasst, sodass poten­zi­elle Gemein­sam­kei­ten wirk­lich schwer zu erken­nen sind. Den­noch soll­ten wir es als auf­ge­schlos­sene Men­schen gele­gent­lich versuchen… ;-)

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