Eine euro­päi­sche Ver­mö­gen­steuer könnte eine „Win-Win“-Strategie zur Ver­rin­ge­rung der extre­men Ver­mö­gens­un­gleich­heit und zur Finan­zie­rung der öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­tion und der Erho­lung von der Pan­de­mie sein.

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ie Covid-19-Pan­de­mie hat die Euro­päi­sche Union mit ver­hee­ren­den sozio­öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen über­rollt und lässt viele Mit­glieds­staa­ten mit dem Wie­der­auf­bau kämp­fen. Dar­über hin­aus schrei­ten die gro­ßen gesell­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen der letz­ten Jahr­zehnte – wie die dro­hende Kli­ma­ka­ta­stro­phe und die zuneh­mende Ungleich­heit – unver­min­dert voran.

Eine pan­eu­ro­päi­sche Ver­mö­gen­steuer könnte Europa mit den Mit­teln aus­stat­ten, die es braucht, um diese Her­aus­for­de­run­gen zu bewäl­ti­gen, und beträcht­li­che Beträge zur För­de­rung eines gerech­ten und öko­lo­gisch nach­hal­ti­gen Auf­schwungs nach der Pan­de­mie ein­brin­gen. Die im Rah­men des euro­päi­schen Green Deal geplan­ten Maß­nah­men rei­chen nicht aus, um den Über­gang zu einer kli­ma­neu­tra­len euro­päi­schen Wirt­schaft zu errei­chen. Und die Coro­na­vi­rus-Krise hat die Ungleich­hei­ten sowohl inner­halb der Län­der als auch zwi­schen den Län­dern ver­schärft, was eine Ver­mö­gens­steuer zu ver­rin­gern hel­fen würde.

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ifso exper­tise ist eine Publi­ka­ti­ons­reihe wirt­schafts- und sozi­al­po­li­ti­scher Exper­ti­sen, die am oder im Umfeld des Insti­tuts für Sozio­öko­no­mie an der Uni­ver­si­tät Duis­burg-Essen enstan­den sind.

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Würde eine sol­che Steuer zur Finan­zie­rung eines „grü­ne­ren Euro­pas“ ver­wen­det, würde sie einen erheb­li­chen Teil der Las­ten des sozial-öko­lo­gi­schen Wan­dels den reichs­ten Haus­hal­ten auf­bür­den – der sozia­len Gruppe mit dem größ­ten öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck. Da sie auf euro­päi­scher Ebene erho­ben wird, würde sie auch die Steu­er­ver­mei­dung mini­mie­ren und eine gemein­same Steu­er­ba­sis schaf­fen, die als fis­ka­li­sche Grund­lage für die Bewäl­ti­gung des Spek­trums aktu­el­ler sozia­ler Her­aus­for­de­run­gen dient und einen ech­ten insti­tu­tio­nel­len Fort­schritt in den poli­ti­schen Fähig­kei­ten der Euro­päi­schen Union darstellt.

Auffallend hohe Vermögensungleichheit

In den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten haben die Sozi­al­wis­sen­schaf­ten der Ver­mö­gens­un­gleich­heit erhöhte Auf­merk­sam­keit gewid­met: Das beob­ach­tete Niveau ist auf­fal­lend hoch und nimmt in vie­len Fäl­len zu. In einer kürz­lich durch­ge­führ­ten Stu­die über 22 EU-Län­der, die auf Daten des „House­hold Finance and Con­sump­tion Sur­vey“ der Euro­päi­schen Zen­tral­bank beruht, wird fest­ge­stellt, dass der Anteil des reichs­ten 1 Pro­zent der Bevöl­ke­rung am Gesamt­ver­mö­gen etwa ein Drit­tel beträgt, wäh­rend die untere Hälfte der Ver­mö­gens­ver­tei­lung nur etwa 4 Pro­zent besitzt.

Die Autoren

Jakob Kapel­ler ist Pro­fes­sor und geschäfts­füh­ren­der Direk­tor am ifso. Zudem lei­tet er das Insti­tut für die Gesamt­ana­lyse der Wirt­schaft (ICAE). Schwer­punkte: Öko­no­mi­scher und sozia­ler Wan­del und Plu­rale Ökonomik.

Stuart Leitch ist Mas­ter­stu­dent der Volks­wirt­schafts­lehre an der Uni­ver­si­tät Greenwich.

Rafael Wildauer forscht und lehrt am Insti­tute for Poli­ti­cal Eco­nomy, Gover­nance, Finance and Accoun­ta­bi­lity der Uni­ver­si­tät Green­wich. For­schungs­schwer­punkte: Ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen, öko­lo­gi­sche Makroökonomik.

Diese Beob­ach­tun­gen geben Anlass zu grund­sätz­li­chen Beden­ken hin­sicht­lich der Gerech­tig­keit, aber auch zu kon­kre­te­ren Über­le­gun­gen dar­über, wie – und ob über­haupt – offene Gesell­schaf­ten mit einer der­art hohen und zuneh­men­den Ungleich­heit umge­hen kön­nen. Wie kön­nen ver­stärkte soziale Spal­tun­gen und zuneh­mende Insta­bi­li­tät ver­mie­den wer­den? Wie kann die Qua­li­tät der poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen auf­recht­erhal­ten wer­den? Und wie kön­nen künf­tige Her­aus­for­de­run­gen bewäl­tigt wer­den, wenn die euro­päi­schen Steu­er­sys­teme zur Erwirt­schaf­tung der erfor­der­li­chen Mit­tel nur wenig umver­tei­lend sind?

Vor die­sem Hin­ter­grund scheint es nahe­lie­gend, neue For­men der Besteue­rung von Ver­mö­gen zu erfor­schen (wie sie bei­spiels­weise von Tho­mas Piketty oder Gabriel Zuc­man befür­wor­tet wer­den), die die Ungleich­heit ver­rin­gern und gleich­zei­tig die öffent­li­che Hand­lungs­fä­hig­keit erhö­hen kön­nen. Unsere aktu­elle Stu­die lie­fert daher nicht nur plau­si­ble Schät­zun­gen der Ver­mö­gens­un­gleich­heit in Europa, son­dern auch Schät­zun­gen der poten­zi­el­len Ein­nah­men aus einer euro­päi­schen Vermögensteuer.

Eindeutiger Vorteil

Ein kla­rer Vor­teil einer sol­chen Steuer besteht darin, dass sie nur eine kleine Min­der­heit von Haus­hal­ten betref­fen würde – etwa 3 Pro­zent der euro­päi­schen Bevöl­ke­rung, wenn man von einer mehr als ange­mes­se­nen Steu­er­be­frei­ung der ers­ten 1 Mil­lion Euro Net­to­ver­mö­gen (Gesamt­ver­mö­gen abzüg­lich Gesamt­schul­den) aus­geht, und sogar noch weni­ger bei einem höhe­ren Schwel­len­wert – und den­noch letzt­lich allen zugute käme, indem sie dazu bei­trägt, eine sichere, gerechte und nach­hal­tige Zukunft für die euro­päi­schen Volks­wirt­schaf­ten und Gesell­schaf­ten zu gewährleisten.

Der fran­zö­si­sche Öko­nom Tho­mas Piketty hat die Ein­füh­rung einer De-facto-Ver­mö­gens­ober­grenze vor­ge­schla­gen. Das vierte Modell greift die­sen Vor­schlag auf. „Tho­mas Piketty no Fron­tei­ras do Pen­sa­mento Porto Alegre 2017“ von Fron­tei­ras do Pen­sa­mento / Luiz Mun­hoz, CC BY-SA 2.0, via Wiki­me­dia Commons

In unse­rem Bericht ana­ly­sie­ren wir vier Steu­er­sze­na­rien. Das erste ist eine lineare Steuer (Modell I) in Höhe von 2 % auf Haus­halts­net­to­ver­mö­gen über 1 Mil­lion Euro. Das zweite ist eine leicht pro­gres­sive Steuer (Modell II), die bei 1 Pro­zent auf Net­to­ver­mö­gen über 1 Mil­lion Euro beginnt und bei 3 Pro­zent auf Net­to­ver­mö­gen über 5 Mil­lio­nen Euro endet. Das dritte Modell ist ein stark pro­gres­si­ves Modell (Modell III), das mit 2 % auf Net­to­ver­mö­gen über 2 Mio. € beginnt und mit 10 % auf Haus­halts­net­to­ver­mö­gen über 500 Mio. € endet.
Das vierte Modell ist äußerst pro­gres­siv und basiert auf Piket­tys Vor­schlag, eine effek­tive Ober­grenze für das Ver­mö­gen einer Per­son fest­zu­le­gen. Es basiert auf der lang­fris­ti­gen Skep­sis gegen­über der Auf­recht­erhal­tung und Aus­wei­tung der indi­vi­du­el­len Frei­heit, der sozia­len Sta­bi­li­tät und der demo­kra­ti­schen Poli­tik, wenn eine unkon­trol­lierte Anhäu­fung von Ver­mö­gen mit einer suk­zes­si­ven Macht­kon­zen­tra­tion ein­her­geht. Die­ses Modell sieht eine de facto Ver­mö­gens­ober­grenze von etwa 260 Mil­lio­nen Euro vor, mit stark pro­gres­si­ven Spit­zen­steu­er­sät­zen von 60 Pro­zent für dar­über hin­aus­ge­hende Ver­mö­gen (das 1.000-fache des EU22-Durch­schnitts­ver­mö­gens) und 90 Pro­zent für Ver­mö­gen über 2,6 Mil­li­ar­den Euro.

Einnahmepotenzial

Wir ver­wen­den Daten der EZB, um die Ver­mö­gens­ver­tei­lung in den 22 aus­ge­wähl­ten EU-Län­dern zu model­lie­ren und das Ein­nah­me­po­ten­zial unse­rer vier Kon­zepte zu schät­zen (siehe Tabelle). Selbst die lineare Steuer würde nach unse­ren Schät­zun­gen jähr­li­che Ein­nah­men in Höhe von 192 Mrd. EUR (1,6 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts) gene­rie­ren. Eine milde oder stark pro­gres­sive Besteue­rung des Ver­mö­gens der pri­va­ten Haus­halte könnte 224 Mil­li­ar­den Euro (1,9 Pro­zent des BIP) bis 357 Mil­li­ar­den Euro (3,0 Pro­zent des BIP) ein­brin­gen. Die Ein­füh­rung einer stark pro­gres­si­ven Steuer mit einer effek­ti­ven Ober­grenze für Net­to­ver­mö­gen in Höhe des 1.000-fachen des Durch­schnitts würde im ers­ten Jahr der Umset­zung 1.281 Mrd. € (10,8 %) ein­brin­gen und sich danach auf einem nied­ri­ge­ren Niveau stabilisieren.

Schätzungen der Steuereinnahmen für die Modelle I bis IV, unter Berücksichtigung der Hinterziehungseffekte

Ein­nah­me­schät­zung % des BIP
Modell I: linear 192 Mrd. € 1,6
Modell II: leicht progressiv 224 Mrd. € 1,9
Modell III: stark progressiv 357 Mrd. € 3,0
Modell IV: Vermögensobergrenze 1.281 Mrd. € 10,8

Geschätzte Steu­er­ein­nah­men für die Modelle I bis IV, ange­ge­ben in Mil­li­ar­den Euro (Preise 2017) und in Pro­zent des BIP 2017 für die EU22 (Öster­reich, Bel­gien, Kroa­tien, Zypern, Est­land, Finn­land, Frank­reich, Deutsch­land, Grie­chen­land, Ungarn, Irland, Ita­lien, Litauen, Luxem­burg, Lett­land, Malta, Nie­der­lande, Polen, Por­tu­gal, Slo­wa­kei, Slo­we­nien und Spanien)

Das große Ein­nah­me­po­ten­zial einer euro­päi­schen Ver­mö­gen­steuer ist die Kehr­seite der gro­ßen Ver­mö­gens­un­gleich­heit. Da das reichste 1 Pro­zent aller Haus­halte fast ein Drit­tel des Ver­mö­gens in Europa besitzt, kann die Besteue­rung die­ser klei­nen Min­der­heit große Ein­nah­men gene­rie­ren, die nicht nur zur Begren­zung der ver­hee­ren­den Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie, son­dern auch zur Finan­zie­rung des grund­le­gen­den Über­gangs zu einer kli­ma­neu­tra­len Gesell­schaft benö­tigt werden.

Es gibt zahl­rei­che Belege für die extreme Kon­zen­tra­tion des Reich­tums an der Spitze der Ver­tei­lung. Unsere Fest­stel­lung, dass ins­be­son­dere pro­gres­sive Ver­mö­gen­steu­ern ein gro­ßes Ein­nah­me­po­ten­zial haben, ist daher nicht über­ra­schend. Die Aus­ge­stal­tung einer sol­chen Steuer nach den fol­gen­den Grund­sät­zen würde sie auch prak­ti­ka­bel machen:

Ein koor­di­nier­ter euro­päi­scher Ansatz kann die Durch­set­zung ver­bes­sern und die Mög­lich­kei­ten der Steu­er­hin­ter­zie­hung verringern;

die Ver­wen­dung aktu­el­ler statt his­to­ri­scher Preise für die Bewer­tung von Ver­mö­gens­wer­ten wird ver­kehrte Anreize begrenzen;

die Durch­set­zung erfor­dert zusätz­li­che Res­sour­cen für die euro­päi­schen Steu­er­be­hör­den sowie eine spe­zi­elle Infra­struk­tur (Daten­ban­ken für die Bewer­tung von Ver­mö­gens­wer­ten, auto­ma­ti­scher Infor­ma­ti­ons­aus­tausch, Regis­ter für wirt­schaft­li­ches Eigentum);

gut aus­ge­rüs­tete Steu­er­be­hör­den wer­den in der Lage sein, den Ver­wal­tungs­auf­wand für die Steu­er­zah­ler erheb­lich zu ver­rin­gern, indem sie den auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen Län­dern und Finanz­in­sti­tu­ten nut­zen und vor­aus­ge­füllte Steu­er­ak­ten aus­stel­len, und

zur Ein­däm­mung der Steu­er­flucht kann die EU den US For­eign Account Tax Com­pli­ance Act imi­tie­ren und ihre Größe und ihren Ein­fluss nut­zen, um Druck auf externe Recht­spre­chungs­be­rei­che, ins­be­son­dere Steu­er­pa­ra­diese, auszuüben.

Eine euro­päi­sche Ver­mö­gen­steuer ist also nicht nur mach­bar, son­dern auch gerecht. Sie hat das Poten­zial, hohe Ein­nah­men zu gene­rie­ren, die in ein gerech­te­res und nach­hal­ti­ge­res Europa inves­tiert wer­den können.

Die­ser Bei­trag wurde zuerst in eng­li­scher Spra­che auf socialeurope.eu ver­öf­fent­licht. Die Ver­öf­fent­li­chung der deut­schen Über­set­zung in leicht redi­gier­ter Fas­sung erfolgt mit freund­li­cher Geneh­mi­gung. Die ansons­ten übli­che Crea­tive Com­mons-Lizenz für unsere Bei­träge gilt hier nicht.

Kurz zusammengefasst

Die hohe Ungleich­heit bei der Ver­mö­gens­ver­tei­lung in Europa ist nicht nur aus Gerech­tig­keits­er­wä­gun­gen pro­ble­ma­tisch, son­dern auch in Hin­blick auf die gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Sta­bi­li­tät. Gleich­zei­tig ste­hen mit der dro­hen­den Kli­ma­ka­ta­stro­phe und der Bewäl­ti­gung der Fol­gen der Covid-19-Pan­de­mie gewal­tige Her­aus­for­de­run­gen vor der Tür. Eine pan­eu­ro­päi­sche Ver­mö­gen­steuer könnte Europa mit den Mit­teln aus­stat­ten, die es braucht, um diese Her­aus­for­de­run­gen zu bewäl­ti­gen. Sie würde den erheb­li­chen Teil der Las­ten des sozial-öko­lo­gi­schen Wan­dels den reichs­ten Haus­hal­ten auf­bür­den – der sozia­len Gruppe mit dem größ­ten öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck. Zudem könnte eine sol­che Steuer einen Bei­trag zur Wei­ter­ent­wick­lung der euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen leis­ten. Die Stu­die schätzt mit­hilfe von vier Model­len – von einer linea­ren Besteue­rung von Net­to­ver­mö­gen ab 1 Mio. € bis zu einer hoch­gra­dig pro­gres­si­ven Vari­ante mit einer effek­ti­ven Ver­mö­gens­ober­grenze – wie groß die Ein­nah­me­po­ten­ziale einer sol­chen Steuer wären. Diese hohen Ein­nah­men könn­ten in ein gerech­te­res und nach­hal­ti­ge­res Europa inves­tiert werden.